Der sogenannte Tiefe Staat ist eine Struktur aus Geheimdiensten, Militär, privaten «Sicherheitsunternehmen», Banken und multinationalen Konzernen, die gekennzeichnet ist von systematischen, kriminellen und gewalttätigen Handlungen. So beschreibt es der ehemalige kanadische Diplomat und Politikwissenschaftler Peter Dale Scott in seinem Buch «The American Deep State». Damit werde der verborgene Anteil des Staates erweitert und «zum Gegenstand systematischer Verschleierung in den großen öffentlichen Medien und in den internen Regierungsarchiven».
Wie sich das konkret zeigt, darüber sprachen am Sonntag in Berlin der psychologische Psychotherapeut Dietrich Schauer und der Journalist Dirk Pohlmann. Zu der Veranstaltung mit dem Titel «Den Tiefen Staat kennen» hatte der Berliner Bezirksverband Friedrichshain-Kreuzberg der Partei Die Basis eingeladen.
Schauer zitierte zu Beginn Edward Bernays, der bereits 1928 in seinem Buch «Propaganda» festgestellt hatte:
«Die bewusste und zielgerichtete Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften. Organisationen, die im Verborgenen arbeiten, lenken die gesellschaftlichen Abläufe. Sie sind die eigentlichen Regierungen in unserem Land. Wir werden von Personen regiert, deren Namen wir noch nie gehört haben.»
Das sei der Hintergrund für das, was er zum Thema Manipulation und Propaganda recherchiert und herausgefunden habe, so der Berliner Psychotherapeut. Er sieht den «Tiefen Staat» als «black box», in die etwas hineinkommt, auch wieder heraus, aber es sei «sehr schwer rauszukriegen, was innen drin wirklich passiert». Deshalb gebe es dazu zahlreiche Spekulationen.
Schauer ging auf die Rolle von «Think Tanks» und privaten Stiftungen ein, so zum Beispiel den Council on Foreign Relations (CFR) und die Rockefeller-Stiftung. Zahlreiche der «Think Tanks» (deutsch: Denkfabriken) seien Teil transatlantischer Netzwerke, die eng mit Medien verbunden seien. Er verwies dabei unter anderem auf die Erkenntnisse des Kommunikationswissenschaftlers Uwe Krüger in dessen Buch «Meinungsmacht».
Herrschaft der Eliten
Als Beispiel verwies er auf die Rolle des 1921 gegründeten CFR, ins Leben gerufen von dem US-amerikanischen Journalisten Walter Lippmann und dem Banker Paul Warburg. Lippmann hatte in seinem 1922 veröffentlichten Buch «Public Opinion» (Deutsch: «Die öffentliche Meinung», 2018, Westend Verlag) beschrieben, wie die öffentliche Meinung entsteht und wie sie manipuliert wird.
Der Autor gehe darin davon aus, «dass die Menschen in einer Pseudo-Umwelt leben und die Realität nicht richtig wahrnehmen können», erklärte Schauer. Lippmann habe dazu den Begriff der «Stereotypen» geprägt und sei der Meinung gewesen, die überforderte Bevölkerung, die «Herde der Bürger», verstehe vieles nicht und könne deshalb keine Entscheidungen treffen. Das müsse eine «Specialized Class», eine spezialisierte Klasse aus Managern, übernehmen, die mit Wissenschaftlern zusammenarbeiten.
Dietrich Schauer (Fotos: Éva Péli)
Den Medien habe Lippmann die Rolle der «Gatekeeper», der «Torwächter», zugewiesen, die zudem die Aufgabe hätten, Zustimmung und Konsens herzustellen.
«Das heißt, die Entscheidungen werden nicht von der Bevölkerung, nicht von der Politik getroffen, auch nicht bei den Wahlen, sondern eben von dieser Specialized Class, die in der Hauptsache aus Managern besteht, und die Wissenschaftler machen die Zuarbeit.»
Schauer hatte zuvor anhand der Hintergründe des Mordes im Jahr 1968 an dem damaligen US-Präsidentschaftskandidaten Robert Kennedy ein Beispiel für die Aktivitäten des «Tiefen Staates» deutlich gemacht. Der heute 80-jährige und immer noch in Haft befindliche Attentäter Sirhan Sirhan könne sich bis heute nicht an seine Tat erinnern. Er sei wahrscheinlich hypnotisiert worden, wofür es zahlreiche Hinweise gebe.
Zudem gebe es zahlreiche Ungereimtheiten bei dem Geschehen in der Nacht zum 5. Juni 1968 bei einer Wahlkampfveranstaltung Kennedys, erklärte Schauer. So habe die Obduktion des Getöteten ergeben, dass er durch Schüsse in den Rücken getroffen wurde – der Attentäter hatte aber vor ihm gestanden.
Psychologische Methoden
Der Psychotherapeut, der selbst mit Hypnose als Therapiemittel arbeitet, beschrieb die Methode der Indirektheit, die sich an das Unterbewusstsein wende. Das sei mutmaßlich bei Sirhan angewendet worden und werde auch in der Propaganda eingesetzt.
«Man sagt Leuten nicht: Ihr müsst in diesen Krieg gehen, einfach so. Man sagt auch nicht: Ihr müsst diese Maßnahmen akzeptieren. Sondern man erzeugt künstliche Krisen, auf die die Leute dann die gewünschte Reaktion von alleine spontan bringen.»
Schauer führte eine Reihe möglicher Motive für das Attentat auf Robert Kennedy an, unter anderem auch, dass beide Kennedys, auch der 1963 ermordete Präsidenten John F., gegen Atomwaffen und die atomare Bewaffnung Israels waren. Auf diesen Aspekt wies auch Pohlmann in seinem folgenden kurzen Vortrag hin.
Der Journalist und Regisseur von Dokumentarfilmen beschäftigt sich seit 2004 mit Geheimdienstoperationen im Kalten Krieg und ist Chefredakteur des Magazins Free 21. In Berlin gab er einen knappen Überblick über seine Sicht auf den «Tiefen Staat» und dessen nachweisbare Aktivitäten. Dazu gehören eine Reihe politischer Attentate und Morde.
Er erklärte, der norwegische Friedensforscher Ola Tunander habe den Begriff «Tiefer Staat» zuerst in den 1990er Jahren geprägt. Grundlage seien Aussagen eines türkischen Generals über doppelte Staatstrukturen in der Türkei, einen legalen Staat und den tiefen Staat, gewesen, wobei letzterer regiere.
Der bereits erwähnte Peter Dale Scott habe den Begriff dann übernommen, so Pohlmann. Doch schon im faschistischen Deutschland habe es solche Doppelstrukturen gegeben, sagte er mit Verwies auf Erich Fraenckel und dessen Buch «Der Doppelstaat». Dieser habe vom «Normenstaat» und dem «Maßnahmenstaat» gesprochen.
Doppelte Strukturen
In Erstem galten die bisherigen Rechtsvorschriften in dem Umfang weiter, wie es zur Funktionsfähigkeit des fortexistierenden kapitalistischen Wirtschaftssystems erforderlich war. Im Zweiten wurde nicht nach rechtlichen Regeln agiert, sondern nach Kriterien des faschistischen Systems mit dem Ziel, die Herrschaft des Regimes zu sichern und seine spezifischen Ziele – wie die Judenverfolgung – durchzusetzen.
Dirk Pohlmann
Der Journalist machte auch auf den deutsch-US-amerikanischen Völkerrechtler Hans Morgenthau aufmerksam. Dieser habe auf die Existenz einer regulären Staatstruktur und der Sicherheitsstruktur des Staates hingewiesen. Die zweite, die Parallelstruktur, überwache in Wirklichkeit die reguläre Struktur, «und manchmal kontrolliert sie auch diese normative Struktur». Pohlmann erklärte das so:
«Alle vier Jahre ändert sich das Parlament, entweder die Regierung bleibt oder es kommt eine neue, aber die Politiker kommen und gehen wie die Blätter an den Bäumen im Frühjahr und im Herbst. Und dann gibt es dahinter eine Struktur, eine Sicherheitsstruktur, die in den USA immens wichtig ist.»
Die Geheimdienste und der Militärisch-Industrielle Komplex (MIK) würden die wechselnden Politiker für nicht geeignet halten. Sie würden deshalb versuchen, dafür zu sorgen, dass Politiker regieren, die sie für tauglich halten – in ihrem Interesse. Als Beispiel führte er Aussagen des US-Generals Curtis le May an, der unter anderem Vietnam «in die Steinzeit» zurückbomben wollte:
«Wir haben uns unser ganzes Leben mit den Fragen von Leben und Tod und auch von Leben und Sterben beschäftigt. Wir sind viel besser geeignet, diese Entscheidungen zu treffen als die Politiker. Man sollte uns das überlassen.»
Die Begriffe «dualer Staat», «paralleler Staat« oder «tiefer Staat» meinen laut Pohlmann das Gleiche: «Wir haben eine Oberfläche und darunter haben wir Leute, die in Wirklichkeit regieren.» Der Journalist machte das am Beispiel des Mordes an John F. Kennedy 1963 deutlich, den Matthias Bröckers zu Recht in einem Buch als «Staatstreich» bezeichnet habe.
Beispiel Kennedy-Mord
Die offizielle Erklärung zu dem Mord sei «Bullshit», sagte der Journalist, der aber nicht damit rechnet, dass die nun freigegebenen Akten dazu wirklich neue Erkenntnisse bringen. Er wies auf eigene neue Erkenntnisse hin, warum US-Präsident Kennedy dem etablierten Machtapparat am Ende im Wege stand.
Dazu hätten Gespräche zwischen Kennedy, dem sowjetischen Parteichef Nikita Chruschtschow und dem damaligen und mutmaßlich 1961 ermordeten UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld gehört. In denen sei es um die Abschaffung der Atomwaffen, konventionelle Abrüstung und die Überstellung der US- und sowjetischen Streitkräfte unter UNO-Kommando gegangen. Kennedy hatte im September 1961 nach dem Tod von Hammarskjöld vor der UN-Generalversammlung erklärt:
«Die mit der Abrüstung verbundenen Risiken verblassen im Vergleich zu den Risiken eines unbegrenzten Wettrüstens.»
Pohlmann erinnerte daran, dass der ermordete US-Präsident sich gegen die Pläne von US-Militärs für einen Atomkrieg mit der Sowjetunion gestellt hatte, so geschehen nach der gescheiterten «Schweinebucht»-Invasion gegen Kuba 1961 und bei der Kuba-Krise 1962. Er habe auch die Pläne für die «Operation Northwoods» abgelehnt, bei der ein gefälschter Angriff auf US-Flugzeuge eine Intervention auf Kuba auslösen sollte.
Das und Weiteres wie die Rede Kennedys am 10. Juni 1963, bei der es um das Ende des kalten Krieges ging, seien die «Sargnägel» für den US-Präsidenten gewesen. Er ging auch auf die mögliche israelische Spur im Zusammenhang mit dem Mord an Kennedy ein, also darauf, dass dieser gegen Atomwaffen für Tel Aviv gewesen sei. Dabei habe der einstige CIA-Gegenspionagechef James J. Angleton eine wichtige Rolle gespielt.
Es sei ein Staatstreich in den USA gewesen, «weil ein Präsident Frieden schaffen will und sein Sicherheitsapparat sagt: Dieser Mann ist eine Gefahr für die amerikanische Sicherheit. Er muss beseitigt werden.» Damit sei seine Wiederwahl und die Möglichkeit verhindert worden, das bisherige System umzubauen.
Nützliche Handlanger
Ein ähnliches Beispiel sei der Mord an dem Vorsitzenden der Deutschen Bank Alfred Herrhausen durch mutmaßliche RAF-Terroristen am 30. November 1989 gewesen, erklärte Pohlmann. Dieser habe sich damals für eine neue Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit der Sowjetunion ausgesprochen, zum gegenseitigen Nutzen. Doch der «Herrhausen»-Plan habe den US-Interessen widersprochen.
Der Journalist stimmte der Aussage des ehemaligen US-Oberst und Geheimdienst-Mitarbeiters Fletcher L. Prouty zu, der den Mord an Herrhausen als «Tat von enormer Bedeutung» bezeichnet hatte. Prouty bemühte sich auch um die Aufklärung des JFK-Attentates und schrieb zum Mord an dem deutschen Banker:
«Echte Terroristen ermorden keine Bankpräsidenten ohne besonderen Grund. Die meisten Terroristen sind in Wirklichkeit die bezahlten Handlanger und Werkzeuge großer Machtzentren.»
In der Podiumsdiskussion nach den Vorträgen verwies Psychotherapeut Schauer unter anderem auf die Rolle der Strukturen und der darin agierenden Personen wie Ex-CIA-Chef Allan Dulles. Er und andere seien auch eng mit der US-Finanzelite an der Wall Street verbunden gewesen und hätten für diese gearbeitet.
Pohlmann bestätigte das und machte darauf aufmerksam, dass Institutionen wie der Council on Foreign Relations bis heute eine wichtige Rolle spiele. So sei die Noch-Außenministerin Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin im Wahlkampf 2021 zum CFR gefahren und habe dort bekundet, dass sie treu zur US-Regierung stehe. Zugleich ist sie Mitglied des europäischen Ablegers ECFR.
Die Frage nach Belegen für den «Tiefen Staat» in Deutschland konnten beide Referenten nicht konkret beantworten. Pohlmann verwies dazu auf das Buch «Im Auftrag der Eliten – der Fall Alfred Herrhausen und weitere politische Morde», an dem er arbeite. Zugleich verwies er darauf, dass die USA der bundesdeutschen Politik Vorgaben machen, die diese umzusetzen habe.
Wichtige Empfehlungen
Die beiden Referenten wurden auch gefragt, wie Menschen mit solchen Informationen umgehen können, um nicht dem dadurch möglicherweise entstehenden Ohnmachtsgefühl zu unterliegen. Psychotherapeut Schauer sagte, sich damit zu beschäftigen, gebe ihm das Gefühl der Kontrolle über die Informationen, «also zu kontrollieren, was ich selber glaube, was ich wahrnehme, und eben nicht völlig ausgeliefert zu sein, was erzählt wird».
«Es ist natürlich wichtig, Freunde zu haben, mit denen man reden kann. Das war in der Corona-Krise wahnsinnig wichtig für mich, dass ich ein paar Leute hatte, wo ich im Grunde vor der Krise schon wusste, dass ich mit denen sprechen kann, über alles, was mir so auffällt und was mir komisch vorkommt.»
Wichtig sei immer, egal in welcher Lebenssituation, «die Aufmerksamkeit letztendlich darauf zu lenken, was man verändern kann», betonte Schauer. Es gehe um die Möglichkeit, selber etwas zu tun. «Mir ist lieber, ich weiß Bescheid», erklärte Journalist Pohlmann auf die Frage.
«Und wenn wir in einem vernünftigen Land leben wollen, wo es sich lohnt zu leben, muss man an diesen Stellen ansetzen. Und das ist die Aufgabe, die Medien und Journalisten haben, einem das zu erklären.»
Er nannte die direkte Demokratie als Alternative zum vorherrschenden politischen System, das etwas wie den «Tiefen Staat» hervorbringt. Und am Ende des Abends, zum Schluss der Diskussion, sagte er im vollen Berliner «Sprechsaal» zum Publikum:
«Wir sind ja gedrillt darauf, eine Partei zu wählen, die für uns alles ändert. Aber viel wichtiger wäre, dass wir uns darum kümmern, wie unser Leben aussehen soll, und die Möglichkeiten haben, diese Entscheidungsgewalt darüber zurückzukriegen.»
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