Die Israelis folgen «nicht der Logik des Krieges, sondern der Logik des Völkermords», zitiert der investigative US-Journalist Seymour Hersh einen namentlich nicht genannten Kenner der Lage im Gaza-Streifen. In einem am Mittwoch veröffentlichten Beitrag gibt er eine weitere Aussage des Experten wieder:
«Die Bedingungen im Norden des Gazastreifens sind Holocaust-Bedingungen. Wir verwenden das Wort nicht, weil es in der westlichen Vorstellung und im Herzen einen besonderen Platz einnimmt, aber dies ist ein Holocaust in Bezug auf kollektive Bestrafung und Entmenschlichung und die technischen Mittel.»
In einem zweiten Beitrag, am Donnerstag veröffentlicht, zitiert Hersh Sichten aus Israel auf das Geschehen, darunter von einem mit ihm befreundeten Ex-Militär aus Israel. Dieser kritisiere zwar den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, habe sich aber hasserfüllt und abwertend über die Palästinenser geäußert.
«Ich bin froh, nicht Israels Premierminister zu sein, denn wäre ich das gewesen, hätte ich am 7. Oktober drei Atombomben auf Gaza abgeworfen und es in ein schwarzes Loch wie Hiroshima und Nagasaki verwandelt.»
Hersh weist im ersten Text darauf hin, dass die israelische Führung die erzwungene Evakuierung von Hunderttausenden aus dem Norden des Gazastreifens in den Süden eskaliert. Währenddessen würden die Zurückbleibenden heftigen Bombardierungen und dem Entzug von Nahrung und Wasser ausgesetzt.
Die religiöse Rechte, die die israelische Regierung dominiere, wolle die Kontrolle über den gesamten Gaza-Streifen und das Westjordanland übernehmen. Laut einem US-Beamten werde die israelische Führung in den nächsten Wochen auch das Westjordanland annektieren und dort die Palästinenser vertreiben.
Ziel sei es unter anderem, «ein für alle Mal das Gerede über eine Zweistaatenlösung» zu beenden und arabische Pläne für einen Wiederaufbau des Gaza-Streifens zunichte zu machen. Das Leben der zwei Millionen Palästinenser im Gaza-Streifen werde unterdessen immer unerträglicher, schreibt Hersh.
Er gibt einen Bericht eines Beobachters wieder, der nach seinen Worten «über ausgezeichnete Kenntnisse des Lebens im heutigen Gaza verfügt, sowohl im Norden als auch im Süden». Dieser spricht von «Holocaust-Bedingungen», unter denen die Palästinenser kollektiv bestraft und entmenschlicht würden.
Das Vorgehen der Israelis im Norden des Gaza-Streifens sei vorhersehbar gewesen und dem würde die Annexion des Westjordanlandes folgen. Die extremistischen Kräfte in Israel wie die Siedler würden denken, dass niemand sie aufhalten könne, nicht die US-Führung und nicht die arabische Welt.
Die Israelis würden die Umgestaltung des Gaza-Streifens vorantreiben:
«Und die Palästinenser, die im Norden von Gaza leben, werden entweder massenhaft ausgerottet, wie es jetzt der Fall ist, oder sie werden in den Süden gedrängt, wo sie gedemütigt, beraubt und gefoltert werden und unerträgliche Bedingungen ertragen müssen.»
Palästinensischen Familien würden die Kinder weggenommen, die dann anderen Gaza-Bewohnern übergeben würden, um sie in den Süden zu bringen, während diese nicht wüssten, ob ihr eigenes Kind noch lebe. So werde zielgerichtet das soziale Gefüge der Palästinenser zerstört.
Diese würden in bestimmten Gebieten im Süden des Gaza-Streifens konzentriert, obwohl es dort keine Lebensmittel gebe. Berichten zufolge werden entsprechende Konzentrationslager vorbereitet.
Der von Hersh zitierte Beobachter sieht Hoffnung in der Tatsache, dass die Palästinenser sich von den Israelis nicht soweit entmenschlichen lassen, dass sie zu «Zombies» oder Kannibalen werden, die sich in ihrer Not gegenseitig zerfleischen und essen.
«Es gibt absolut einen Bruch, aber ich sehe immer noch Hoffnung darin, dass die Menschen sich nicht gegenseitig zerreißen. Es wird immer noch Kunst produziert. Und die Menschen bauen in den Lagern immer noch Lebensmittel und Getreide an.»
Israels Führung wolle die Lebenskraft der Flüchtlinge und ihrer Lager zerstören, weshalb immer wieder auch die Zelte und Flüchtlingslager angegriffen würden. Deshalb werde auch das Hilfswerk der UNO (UNRWA) angegriffen und das Rückkehrrecht der Flüchtlinge negiert.
«Israel geht gegen die Flüchtlinge und die Lager vor, weil sie nach acht Jahrzehnten des Tuns, was sie getan haben, sehen, dass dies Orte der Erinnerung und Geschichte, der Organisation und Identität sind, und das ist es, was sie zu zerstören versuchen. Richtig? Wenn man versucht, eine Bevölkerung auszulöschen, ist es das, was man anstrebt.»
Wer diese «Logik des Völkermords» verstehe, begreife, warum die israelischen Bombenangriffe gegen die Palästinenser so erfolgen wie sie geschehen. Diese «Logik» dahinter deutet Hersh in den Zitaten zweier israelischer Freunde mit ihm an, mit denen er über die Situation sprach und die er im zweiten Beitrag wiedergibt.
Es handele sich um hochgebildete und lebens- sowie kriegserfahrene Männer, wie der US-Journalist betont. Aus seiner Sicht ist eine der geistigen Grundlagen für den gegenwärtigen israelischen Völkermord an den Palästinensern die seit Jahrzehnten in Israel wachgehaltene Erinnerung an die Vernichtung der Juden durch die deutschen Faschisten im 20. Jahrhundert.
Niemand frage sich, ob das immer noch so der Fall sein müsse, schreibt Hersh, auch die gegenwärtige israelische Führung nicht, unterstützt auch vom wiedergewählten US-Präsidenten Donald Trump. Einer seiner beiden israelischen Freunde habe ihm erklärt, dass ihm die palästinensischen Kinder leid täten, aber nicht deren Eltern.
Viele Israelis hätten den Palästinensern aus dem Gaza-Streifen mit Arbeit und Einkommen helfen wollen. Die Antwort sei aber der Angriff der Hamas und anderer palästinensischer Gruppen am 7. Oktober 2023 gewesen, den die beiden Israelis mit allen angeblichen Gräueltaten ausschmücken:
«Weil fast alle Bewohner von Gaza und die meisten Palästinenser niederträchtige Menschen sind. Potenzielle glückliche Schlächter.»
Das wird garniert mit weiteren Behauptungen über die angebliche Niedertracht und Brutalität der Araber allgemein und selbst untereinander. Einer der beiden Freunde Hershs sagt demnach, dass er am 7. Oktober 2023 «drei Atombomben auf Gaza abgeworfen» hätte – und meint, er sei «nicht verrückt» und «ein Liberaler».
Sein anderer Freund habe erklärt, der Angriff im Oktober vor einem Jahr beweise, dass die Hamas keinen palästinensischen Staat anstrebe, sondern alle «Ungläubigen» vernichten wolle. Er habe in seinem Umfeld Menschen, die damals vor Ort gewesen seien und die Gewalt und Brutalität der Palästinenser erlebt hätten.
Aus seiner Sicht würden Hamas, Hisbollah und der Iran glauben, sie könnten Israel zerstören. Belege bringt er nicht, erklärt laut Hersh aber: «Wir wissen es besser und keine primitive Gruppe von Arabern aus Gaza oder dem Libanon wird uns bedrohen.»
Israel werde sich Ruhe erkaufen, indem es «das Palästina-Problem von jedem Bildschirm und jeder Tagesordnung» entferne. Das sei mit den Versuchen der Bestechung von Gruppen wie der Hamas missglückt.
Seinen Worten nach sind die obersten Ränge der israelischen Armee IDF « von religiösen messianischen Offizieren unterwandert ..., die davon überzeugt waren, dass wir mit Jehova sicher gewinnen würden». Inzwischen würden die Israelis – ähnlich der Hamas – «für Gott und unsere heilige Religion» kämpfen.
Der Freund des US-Journalisten erklärt nach dessen Worten, die Palästinenser hätten ihre aktuelle Tragödie selbst verschuldet. Aber auch die Israelis seien an ihrer Situation selbst schuld, «weil wir uns in unserer Ignoranz weigerten, klar zu sehen, was unsere Feinde vorbereiteten».
Zugleich äußert sich der Gesprächspartner von Hersh deutlich kritisch über Netanjahu, der aus egoistischen Gründen den Krieg in Gaza fortsetze, um das gegen ihn anstehende Verfahren wegen Korruption zu behindern. Und er erklärte demnach zumindest, dass Israel unter der Führung von Netanjahu «dem Untergang geweiht» sei, bis der neu gewählte US-Präsident Trump «ihn rausschmeißt».
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