«Die Medien sind zum zentralen Eskalationstreiber geworden.»
Das stellt der Journalist und Buchautor Patrik Baab mit Blick auf den Ukraine-Krieg in seinem neuesten Buch «Propaganda-Presse» fest. Er attestiert den Medien darin unter anderem eine «Apokalypse-Blindheit», da sie bei ihrer Kriegstreiberei blind für deren Folgen seien.
Baabs neues Werk ist mit insgesamt 128 Seiten klein und überschaubar. Es erschien kürzlich im Verlag Hintergrund, der auch das gleichnamige Magazin herausbringt. Es ist ein aktualisiertes Konzentrat seines vorherigen Buches «Auf beiden Seiten der Front» und beschäftigt sich vor allem damit: «Wie uns Medien und Lohnschreiber in Kriege treiben», wie es auch im Untertitel heißt.
Der langjährige Journalist hat verschiedene Berufsstationen durchlaufen und zuletzt beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) gearbeitet. Er geht den Ursachen für den von ihm ausgemachten Abstieg der Medien auf den Grund. Zugleich widerlegt er den von Journalisten und Medien gehegten Selbst-Mythos von der «vierten Gewalt».
Seine Analyse speist sich aus eigenen Erfahrungen als Medien(mit)macher, aus Analysen, aber ebenso aus eigenen Erlebnissen mit Medienmechanismen wie Diffamierung und Ausgrenzung. Letztere sind anscheinend zum Teil Antrieb für seine scharfe Kritik an den medialen Zuständen und Auswüchsen, die er vor allem in Vorträgen und Buchvorstellungen äußert.
Dazu gehört, dass er den Medien vorwirft, die demokratische Öffentlichkeit zu zerschlagen und die Kriegshysterie anzufachen und anzuheizen. Und er warnt:
«Die Zerschlagung der demokratischen Öffentlichkeit geht der Zerschlagung der Demokratie voraus.»
Wobei die Frage ist, ob es in der Bundesrepublik Deutschland so etwas wie eine demokratische Öffentlichkeit, fern aller Sonntagsreden, gibt und jemals gab. Baab selbst liefert Stoff für starke Zweifel daran, auch indem er auf die medialen Eigentumsverhältnisse aufmerksam macht.
Grundlegende Rahmenbedingungen
Schon allein die Tatsache, dass in einer kapitalistischen Gesellschaft auch die Nachrichten und die Informationen eine Ware sind, sorgt dafür, dass im Mediengeschäft erst das Geld und dann irgendwelche demokratischen oder moralischen Werte zählen. Der Autor weiß darum und benennt das auch. Er zitiert im Buch die Aussage des Verlegers Paul Sethe aus dem Jahr 1965:
«Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.»
Und Baab stellt selbst fest:
«Die Besitzverhältnisse und die Entscheidungsgewalt über die Produktionsmittel wirken wie ein redaktioneller Filter, der ressourcenstarke Interessen und staatstragende Deutungshoheit durchlässt: Der Rest bleibt hängen.»
Der erfahrene Journalist zeigt in seinen Vorträgen und bei Buchvorstellungen auch, dass er um die Grundmechanismen des kapitalistischen Wirtschaftssystems weiß. So erklärt er nicht nur die dem Mediensystem zugrundeliegenden Wirtschaftsinteressen und Abhängigkeiten insbesondere der Journalisten davon.
Patrik Baab am 8. Juli bei der Buchvorstellung im Berliner «Sprechsaal» (Fotos: Tilo Gräser)
Bei der Vorstellung des Buches kürzlich in Berlin erklärte er unter anderem, die medialen Produktionsverhältnisse seien «einerseits geprägt von Privateigentum an Produktionsmitteln in den Konzernmedien oder andererseits durch die Nähe zur Regierung, die in den öffentlich rechtlichen Medien die mediale Produktionsverhältnisse prägen.»
«Information ist eine Ware, die unter marktkapitalistischen Bedingungen verkauft werden muss. Sie dient der Profitmaximierung.»
Gleichzeitig seien die Medien «eingebettet in die herrschenden Machtverhältnisse und unterliegen politischen Einflüssen, folgen also politischen Interessen», erklärt er in Vorträgen wie in seinen jüngsten Büchern. Ideologie und Propaganda würden über wirtschaftliche Zwänge, soziale und politische Selektion des Personals ebenso in die Medien eingeschrieben wie durch das herrschende Meinungsklima, Public Relations oder über direkte Einflussnahme der Machteliten.
Blick hinter die Kulissen
In seinem Buch erklärt er das etwas genauer: Wie die Auswahl des journalistischen Personals erfolgt und wie der seit Jahrzehnten anhaltende Spardruck die Arbeit der Journalisten beeinträchtigt. Auch das hat etwas mit den sozialen Mechanismen in der kapitalistischen Gesellschaft zu tun, wie Baab weiß und nicht verschweigt.
Dennoch stellt er hohe Ansprüche an die Medien und die Journalisten, wenn er wie kürzlich bei der Buchvorstellung erklärt:
«Journalismus definiert sich darin, die machtpolitischen Ideologien und profitorientierte Kriegslogik in Frage zu stellen. Recherchieren heißt, die politischen Missstände und ökonomischen Interessen aufzudecken, die den Krieg provozieren.»
Er hebt ebenso immer wieder hervor, dass es bei Kriegen auch zuallererst um Profit geht. Das gelte auch bei dem vom Westen angezettelten Krieg in der Ukraine. In der ganzen Welt seien die geostrategischen und wirtschaftlichen Kriegsgründe bekannt.
Nur «die Kinder des gehobenen Bürgertums in deutschen Redaktionen» würden sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Mit Lügen durch Weglassen und dem «offensichtliche Primat der Propaganda» vertiefe sich die Legitimationskrise sowohl der Konzern- als auch der öffentlich rechtlichen Medien, stellt der Autor im Buch fest.
Die allzu offensichtliche Einseitigkeit der Berichterstattung führe dazu, dass die etablierten Medien Marktanteile verlören. Viele Menschen würden sich den sogenannten alternativen Medien zuwenden, so Baab.
Medialer Realitätsverlust
In seinem neuen Buch beschreibt er den Realitätsverlust der Medien im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. Dieser zeige sich an mehreren Blindheiten gegenüber der tatsächlichen Lage in dem Konflikt.
So werde durch die militärische Blindheit ignoriert, wie es tatsächlich vor Ort aussieht. Baab zitierte dazu den ehemaligen Bundeswehr-Generalinspekteur Harald Kujat, der feststellte, dass die unreflektierte Übernahme von Desinformation sowie Inkompetenz und ideologische Verblendung in Politik und Medien für die verzerrte Darstellung der Realität im Ukraine-Krieg sorgten.
Die Medien seien ebenso durch eine moralisch-ethische Blindheit geprägt, die sich in einem Zynismus zeige, der die Ukraine nur als Kanonenfutter im Kampf gegen Russland sehe. Zudem macht der Autor eine Kausalitäts-Blindheit in den Redaktionen aus, einen «Unwillen, im Weg der Recherche den Dingen auf den Grund zu gehen».
Hinzu komme eine soziale Blindheit gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnissen in der Ukraine. Baab wirft den hiesigen Mainstream-Medien Kumpanei mit dem Regime in Kiew vor, das die verkündeten westlichen Werte mit Füßen trete.
Zum Realitätsverlust tragen aus seiner Sicht ebenso die psychologische wie auch die kulturelle Blindheit bei:
«Sie folgen der Propaganda-Logik, dass Ultranationalismus und Faschismus, Bücherverbrennungen und Unterdrückung kultureller Minderheiten nicht so schlimm sind, wenn es den Interessen des transatlantischen Blocks nützt.»
Baab sieht die ebenfalls ausgemachte ökonomische Blindheit der etablierten Medien als den «vielleicht wichtigsten Befund». Diese zeige sich im Wirtschaftskrieg gegen Russland, der massiv unterschätzt worden sei. Die Folgen des Wirtschaftskrieges würden den Westen selbst viel stärker treffen.
Die von ihm attestierte politische und geostrategische Blindheit belegt er mit Zitaten US-amerikanischer Geostrategen wie Zbigniew Brzezinski und George Friedman, welche die US-Interessen bereits lange zuvor klar benannten. Deutsche Medien würden ignorieren, dass der Krieg in der Ukraine den «Höhepunkt eines 30 Jahre alten Projekts der US-Neocons» darstelle.
Innere Faktoren
Die Folgen der Entwicklung und der russophoben Politik bis hin zur Gefahr des Dritten Weltkrieges würden ebenso verschwiegen, was sich in einer «Apokalypse-Blindheit» zeige. Grundlage für all dies ist das, was Baab als journalistisch-handwerkliche Blindheit beschreibt:
«Die ‹Sieben W-Fragen› – Wer? Wo? Was? Wann? Wie? Warum? Woher die Meldung? – werden gar nicht mehr vollständig beantwortet. Es fehlen die Erklärungen zu ‹Wie› und ‹Warum›. Damit bleibt der Leser verwirrt und ratlos zurück, ein Opfer der Propaganda.»
Der Autor hebt hervor, dass das nicht nur durch die äußeren Rahmenbedingungen und Faktoren bedingt ist. Er geht auch auf die journalistische Psychologie ein, die «psychsische Verfassung der Lohnschreiber». Diese sei durch einen ausgeprägten Narzissmus geprägt – auch hier weiß Baab, wovon er schreibt und spricht. Und gesteht offen ein, dass er auch selbst diese «déformation professionnelle» aufweise.
«Wenn die Presse ihre Arbeit gemacht hätte, wäre es wahrscheinlich nicht zum Krieg in der Ukraine gekommen», erklärte der Autor kürzlich bei der Buchvorstellung im Berliner Sprechsaal. An dieser Stelle ist ihm zu widersprechen, mit dem Hinweis auf die von ihm selbst erwähnten kapitalistischen Grundmechanismen. Davon kündet nicht nur die von ihm benannte Vorgeschichte, sondern auch, was der französische Friedensaktivist Jean Jaures einst so beschrieben hat: «Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen.»
Baabs Buch basiert, wie erwähnt, auf seinen eigenen Erfahrungen und seinem Wissen als Redakteur und Journalist. Dazu gehört auch, dass er bei seinem Besuch in der Ostukraine im Herbst 2022 hautnah miterlebte, wie und was der Krieg ist und bedeutet.
Er hat auch erlebt, wie etablierte Medien und Aktivisten jene diffamieren und ausgrenzen sowie zum öffentlichen Abschuss freigeben, die den vorgegebenen Erklärungen widersprechen, sie in Frage stellen und kritisieren. Das kann lebensgefährliche Folgen haben, wie er an einem Erlebnis in Donezk im September 2022 schildert. Das Buch atmet viel von seiner Wut auf die «Lohnschreiber», die sich hinter ihren Redaktionstischen und Computern verstecken und von dort die Welt beurteilen, während jene, die vor Ort recherchieren, ins mediale Visier – und auch ins reale Visier – genommen werden.
Es fehlen leider Anregungen für die Leser, wie sie Widerstandskraft, Resilienz, gegen die beschriebenen Propagandamethoden und -mechanismen entwickeln können, bis auf die Hinweise auf die alternativen Medien. Aber das ist vielleicht etwas zu viel erwartet von dem komprimierten Inhalt der 91 Seiten, dem ein ausführlicher Quellen- und Literaturanhang folgt. Es könnte Stoff für ein weiteres Buch von Patrik Baab sein, der genug Material für solche Anregungen hat.
*************************
Buchtipp:
Patrik Baab: «Propaganda-Presse – Wie uns Medien und Lohnschreiber in Kriege treiben»
Verlag Hintergrund 2024. 128 Seiten; ISBN 978-3-910568-11-2; 14,80 €
**********************
Unterstützen Sie uns mit einem individuellen Betrag oder einem Spenden-Abo. Damit leisten Sie einen wichtigen Beitrag für unsere journalistische Unabhängigkeit. Wir existieren als Medium nur dank Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Vielen Dank!
Oder kaufen Sie unser Jahrbuch 2023 (mehr Infos hier) mit unseren besten Texten im Webshop:
Kommentare