Ein Märchen beziehungsweise mehr als das: eine Lüge – das war laut dem US-Journalisten Seymour Hersh die Ankündigung des US-Präsidenten Joseph Biden eines israelischen Friedensvorschlages für Gaza. In seinem Beitrag dazu vom Donnerstag macht der Journalist klar, dass es einen solchen Vorschlag aus Tel Aviv gar nicht gab.
Er nennt die Aussagen von Biden dessen «jüngste Unverschämtheit» und eine «Lüge», über die die großen US-Medien aber schweigen würden. Der US-Präsident hatte vor einer Woche verkündet, Israel habe einen «umfassenden neuen Vorschlag vorgelegt».
Es handele sich um einen «Fahrplan für einen dauerhaften Waffenstillstand und die Freilassung aller Geiseln». Das sei das Ergebnis der «unermüdlichen Bemühungen» der US-Unterhändler, die Krise im Gaza-Streifen zu beenden, behauptete der greise Präsident. Demnach sollte ein «dauerhaftes Ende des Krieges» und eine politische Lösung für eine «bessere Zukunft» beider Seiten erreicht worden sein.
Die Rede habe «großartig» geklungen und weltweit für Schlagzeilen gesorgt, so Hersh. Doch es habe sich um «reinen politischen Unsinn» gehandelt, habe ihm ein Informant aus US-Regierungskreisen mitgeteilt. Es habe nie einen entsprechenden israelischen Vorschlag gegeben.
Premierminister Benjamin Netanjahu und andere israelische Politiker hätten «keine Ahnung» gehabt, «wovon der Präsident und seine zunehmend verzweifelten politischen Helfer sprachen».
«Eine ähnliche Unkenntnis herrschte bei den Mitgliedern des US-amerikanischen Teams unter der Leitung von CIA-Direktor William Burns, das seit Monaten an den Waffenstillstandsgesprächen über den Gaza-Krieg beteiligt ist.»
Der angebliche Drei-Phasen-Plan habe nichts mit der Realität zu tun gehabt, schreibt Hersh. Biden hatte dazu unter anderem gesagt, «die Palästinenser – Zivilisten – würden in ihre Häuser und Wohnviertel in allen Gebieten des Gazastreifens, einschließlich des Nordens, zurückkehren» können. Der Journalist dazu:
«Die Erklärung des Präsidenten erwähnte nicht die Tatsache, dass es nach acht Monaten Bombardierung und Panzerangriffen nur wenige Häuser und Viertel gibt, in die man zurückkehren kann.»
Netanjahu selbst habe dazu geschwiegen und einer seiner Berater dazu erklärt, dass Israel erst einem Waffenstillstand zustimme, wenn es seine Ziele erreicht habe. Zu denen gehört erklärtermaßen die Vernichtung der Hamas – unter Inkaufnahme unzähliger ziviler Opfer. Hersh dazu:
«Zur selben Zeit setzte das israelische Militär unter Netanjahus Kommando die Bombenangriffe auf den Gaza-Streifen und dessen Bevölkerung fort, hungerte sie weiter aus und verstümmelte sie weiter, während es in den Tunneln nach der Hamas-Führung fahndete.»
Er zitiert einen US-Regierungsbeamten, der Bidens Rede als «panischen Versuch des Weißen Hauses» bezeichnet habe, «ein wenig politische Zugkraft zu gewinnen». Das sei geschehen, da Biden bisher nicht in der Lage gewesen sei, einen festen moralischen Standpunkt gegen das israelische Massaker an der Zivilbevölkerung in Gaza einzunehmen.
Der angebliche israelische Vorschlag hätte ein Ende des Krieges bedeutet und eingeschlossen, dass mit israelischen Steuergeldern der Gaza-Streifen wieder aufgebaut worden wäre. Doch das sei nichts als ein «Märchen», habe der Beamte dazu gesagt. Selbst wenn der Vorschlag wahr gewesen wäre, wäre er nicht umsetzbar gewesen:
«Die israelische Öffentlichkeit würde Bibi [Netanjahu] aus dem Amt jagen. Sie unterstützen diesen Krieg.»
Es sei nicht bekannt, was Biden als nächstes sagen oder tun werde, um im Amt zu bleiben, so Hersh.
«Die Lüge über einen Friedensvorschlag, den es nicht gibt, ist nur der Anfang.»
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