International wird die Verhaftung von Telegram-Gründer Pawel Durow am Samstag in Paris kritisch kommentiert. So hat der ehemalige CIA-Whistleblower Edward Snowden auf der Plattform X die Verhaftung als «Angriff auf die grundlegenden Menschenrechte der Rede und der Versammlung» bezeichnet.
Snowden kritisierte den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der sich damit «auf das Niveau einer Geiselnahme herabgelassen hat, um sich Zugang zur privaten Kommunikation zu verschaffen». Das sei «nicht nur eine Schande für Frankreich, sondern für die ganze Welt».
Elon Musk, Eigentümer von X, reagierte auf die Festnahme von Durow mit einem kurzen Post auf seiner Plattform: «Freiheit, Freiheit, Freiheit?». Er veröffentlichte auch einen Ausschnitt aus einem im April ausgestrahlten Interview von Tucker Carlson mit Durow, in dem dieser sich zur Übernahme von X durch Musk äußert.
Die Verhaftung des Telegram-Gründers ist aus Sicht des russischen Juristen Ilja Remeslo «bislang weltweit der einzige Fall einer strafrechtlichen Verfolgung des Gründers eines sozialen Netzwerks solchen Maßstabs, dessen Reichweite fast eine Million Nutzer pro Monat umfasst». Er bezeichnet in einem Beitrag auf dem russischen Portal RT DE die gegen Durow erhobenen Vorwürfe als absurd.
Durow wird zur Last gelegt, sich geweigert zu haben, mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Damit habe er sich an mutmaßlichen Straftaten von Telegram-Nutzern mitschuldig gemacht. Er habe ihnen geholfen, ihre Identität vor den Behörden zu verbergen. Dafür drohen ihm in Frankreich bis zu 20 Jahre Gefängnis. Remesio zitiert dazu Tucker Carlson:
«Es war nicht Putin, der ihn verhaftet hat, weil er der Öffentlichkeit das Recht auf freie Meinungsäußerung zugestanden hat. Es war ein westliches Land – ein Verbündeter der Biden-Administration und ein aktives Mitglied der NATO –, das ihn hinter Gitter gebracht hat.»
Der russische Jurist vermutet, «dass die Franzosen nur Vollstrecker eines fremden Willens im Ausland waren». Es gehe offensichtlich darum, «Durow zu brechen und ein außer Kontrolle geratenes soziales Netzwerk dem Willen des kollektiven Westens zu unterwerfen».
Auf die verlogene Doppelmoral westlicher und vor allem deutscher Medien auch in diesem Fall macht Wladislaw Sankin in einem Kommentar auf RT DE aufmerksam:
«Kein kritischer Kommentar, keine Kampagne ‹free Durov›, und die Politiker, die sonst ungefragt auf jeden Skandal aufspringen, wenn es ihnen nutzt, schweigen beharrlich. Wie mit der Verhaftung des Internet-Unternehmers umgegangen wird, ist genau das Gegenteil dessen, was passiert, wenn ‹Meinungsfreiheit› nach der Meinung des Westens angegriffen wird.»
Die deutschen Medien würden die Vorwürfe gegen Durow unkritisch wiedergeben und nicht infrage stellen. Dabei werde unter anderem weggelassen, dass Telegram zum Beispiel das Verbot der russischen Medien Sputnik und RT in westlichen Ländern entsprechend umgesetzt und deren Kanäle gesperrt habe.
Der freie EU-Korrespondent Eric Bonse verweist in einem Beitrag auf seinem Blog Lost in EUrope darauf, dass sich Telegram den neuen EU-Regeln für die Content-Moderation, die Kritiker als Zensur ansehen, entzogen hat. Ähnliche Vorwürfe gebe es aber auch gegen andere Plattformen wie Facebook, Twitter/X oder Signal. Dass der Manager eines der populärsten Messenger-Dienste festgenommen wurde, sei ein bisher weltweit einmaliger Vorgang, zitiert Bonse die französische Zeitung Le Monde und stellt fest:
«Er ist umso bemerkenswerter, als die Festnahme nicht in Russland erfolgte, sondern in Frankreich, einem EU-Land. Und das, obwohl Durov vor ein paar Jahren die französische Ehrenbürgerschaft bekommen hatte!»
Der EU-Korrespondent vermutet, «dass die Verhaftung mit dem Krieg um die Ukraine zu tun hat». Telegram werde von pro-russischen Bloggern und von russischen Soldaten genutzt und bringe viele Informationen, die dem Westen nicht passen. Das gelte auch für die Vorgänge in Afrika, wo Russland Frankreich das Leben schwer mache: «Präsident Macron wolle sich an Durow rächen, vermuten manche.»
Bonse sieht die Verhaftung ebenfalls als «Schlag gegen die Meinungsfreiheit» und erinnert an die fortgesetzten Zensur-Aktivitäten der EU-Kommission.
«An Durow könnte nun ein Exempel statuiert werden – was passiert, wenn man sich nicht den Vorgaben aus Brüssel und Paris beugt (...)»
Wirtschaftsjournalist und Blogger Norbert Häring macht in einem Beitrag darauf aufmerksam, dass der offizielle Grund für Durows Verhaftung der gleiche ist, «aus dem Russlands Regierung 2018 Telegram sperren ließ (aber niemand verhaftete)». Die Reaktionen westlicher Demokratie- und Bürgerrechtswächter seien «denkbar unterschiedlich». Häring verweist auf Aussagen der Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa auf Telegram zu dem Vorgang:
«(...) Ich habe mich daran erinnert, wie 2018 eine Gruppe von 26 NGOs, darunter Human Rights Watch, Amnesty International, Freedom House, Reporter ohne Grenzen, Committee to Protect Journalists und andere, die Entscheidung des russischen Gerichts, Telegram zu blockieren, verurteilt haben. (...)
Diese westlichen NGOs forderten die russischen Behörden auf, die Arbeit von Telegram nicht länger zu behindern. Sie forderten die UNO, den Europarat, die OSZE, die EU, die USA und andere Regierungen auf, sich dem Vorgehen Russlands entgegenzustellen und die Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und Privatsphäre zu schützen. Sie forderten auch die Internetkonzerne auf, unangemessenen und ungesetzlichen Forderungen, die die Rechte ihrer Nutzer verletzen, entgegenzutreten. (...)»
Auch der Journalist Oliver Stock bezeichnet in der Schweizer Zeitung Die Weltwoche die Vorwürfe gegen Durow als «absurd»:
«Mit dem gleichen Argument liessen sich Autohersteller verhaften, die zu wenig dagegen tun, dass mit ihren Autos Unfälle passieren.»
Stock sieht die Festnahme Durows in einer Linie mit dem Vorgehen gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange sowie mit den dauernden Vorwürfen gegen X-Besitzer Elon Musk.
«All diesen Fällen gemeinsam ist: Zensur ist erwünscht. Nichteinmischung steht in der EU offenbar unter Verdacht. Es steht nicht gut um die freie Rede.»
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