Die Frage, ob auch der Mensch ein Tier ist beziehungsweise ob er als Tier über dem Rest der Tierwelt thront oder nicht, könnte grundlegender kaum sein. Darauf habe ich sowohl in meinem Artikel «Studie: Ägyptische Flughunde sind zu ‹mentalen Zeitreisen› fähig», veröffentlicht am 18. August 2024, als auch in meinem Newsletter «Der Mensch steht nicht über den Tieren – sondern ist selbst eines!», erschienen am 1. Mai 2024, aufmerksam gemacht.
Das Thema ist von weitreichender Bedeutung. Denn wenn sich die Menschen, die ja zweifelsfrei Säugetiere sind, nicht mehr über den Tieren wähnen, sondern sich als Mitgeschöpfe innerhalb eines großen Ganzen betrachten würden, dann wären wohl auch so abartige Dinge wie die Massentierhaltung kaum mehr möglich. Denn ein anderes Geschöpf zu quälen und auszubeuten, wird emotional zumindest arg erschwert, wenn man es als seinesgleichen betrachtet.
Und es gibt immer mehr Studien, die zeigen, dass es keinen Grund gibt, dass sich der Mensch über die Tierwelt stellt. In meinem Newsletter erwähne ich eine internationale Koalition, bestehend aus mehreren Dutzend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die die «New Yorker Erklärung zum Bewusstsein von Tieren» unterzeichnet haben. Deren Ziel ist, mehr Forschung hierfür anzuregen und das Bewusstsein für Tierschutz zu stärken.
Die Studie zu den Ägyptische Flughunden, die zu «mentalen Zeitreisen» fähig sind, stammt von einem internationalen Team um Yossi Yovel von der Universität Tel Aviv. Es zeigt auf, dass diese Fledermausart über ein episodisches Gedächtnis und Planungskapazität verfügt und damit «ähnliche kognitive Fähigkeiten wie der Mensch hat».
Jetzt ist eine Studie erschienen über Bonobos, die zum Ergebnis hat, dass die Rufe dieser «Menschenaffen» eine Komplexität besitzen, die an die der menschlichen Sprache heranreicht. Untersucht wurde dabei, ob auch die Rufe von wildlebenden Bonobos eine «nicht-triviale Kompositionalität» besitzen.
Dem Team um Mélissa Berthet von der Universität Zürich gelang dabei Erstaunliches, nämlich eine vollständige Liste der Bonobo-Rufe und ihrer Bedeutung zu erstellen – eine Art Bonobo-Wörterbuch. «Dieses Wörterbuch stellt einen wichtigen Schritt zum Verständnis der Tierkommunikation dar, da es das erste Mal ist, dass Forscher die Bedeutung aller Rufe eines Tieres systematisch ermittelt haben», so Berthet in einem Beitrag für The Conversation.
Dann entwickelten die Forscher eine Methode, um zu untersuchen, ob Tierkombinationen kompositorisch sind. Berthet:
«In der menschlichen Sprache kann Kompositionalität zwei Formen annehmen. In ihrer einfachen oder trivialen Version trägt jedes Element der Kombination unabhängig zur Bedeutung des Ganzen bei, und die Kombination wird durch die Summe ihrer Teile interpretiert. Beispielsweise bezieht sich ‹blonde Tänzerin› auf eine Person, die sowohl blond als auch Tänzerin ist. Wenn diese Person auch Arzt ist, können wir daraus schließen, dass sie ebenfalls ein blonder Arzt ist.»
Demgegenüber würden in komplexer oder nicht-trivialer Syntax die Einheiten einer Kombination keine unabhängigen Bedeutungen beitragen, sondern interagieren, sodass ein Teil der Kombination den anderen modifiziere, so Berthet weiter. «Beispielsweise bezieht sich ‹schlechter Tänzer› nicht auf eine schlechte Person, die gleichzeitig Tänzerin ist. Wenn diese Person gleichzeitig Arzt ist, können wir nicht daraus schließen, dass sie ein schlechter Arzt ist. Hier ist ‹schlecht› nur mit ‹Tänzerin› verknüpft.»
Frühere Studien an Vögeln und Primaten hätten gezeigt, dass Tiere triviale kompositionelle Strukturen bilden können. Und es habe bisher nur wenige eindeutige Beweise für nicht-triviale Kompositionalität bei Tieren gegeben. «Das hat die Annahme bestärkt, dass diese Fähigkeit nur dem Menschen zu eigen ist», so Berthet. Diese Annahme wurde durch die Arbeit von Berthets Team nun widerlegt.
In der Zusammenfassung der Science-Redaktion zu dem Paper, das den Titel «Umfassende Kompositionalität im Vokalsystem von Bonobos» trägt und gemeinsam von der Universität Zürich und der Harvard University verfasst wurde, heißt es:
«Ein Markenzeichen der menschlichen Sprache ist die Kombination von Elementen zu größeren sinnvollen Strukturen, ein Muster, das als Kompositionalität bezeichnet wird. Kompositionalität kann trivial sein, das heißt die beiden Teile werden addiert, um eine Bedeutung zu erhalten, oder nicht-trivial, das heißt, die Bedeutung in einem Teil verändert die Bedeutung im anderen.
Neuere Forschungen haben das Vorhandensein von trivialer Kompositionalität bei einer Reihe von Spezies festgestellt, aber es wurde argumentiert, dass nicht-triviale Kompositionalität nur beim Menschen vorkommt. Berthet et al. verwendeten einen großen Datensatz von Bonobo-Vokalisationen in Verbindung mit einem Ansatz der distributiven Semantik und stellten fest, dass sie nicht nur Kompositionalität aufweisen, sondern dass drei der vier Typen nicht-trivial sind.»
Die Forscher selber konstatieren:
«In dieser Arbeit haben wir mit Hilfe von Methoden aus der Distributionssemantik die Kompositionalität bei wildlebenden Bonobos untersucht und festgestellt, dass nicht nur jeder Ruftyp ihres Repertoires in mindestens einer Kompositionskombination vorkommt, sondern dass drei dieser Kompositionskombinationen auch eine nicht-triviale Kompositionalität aufweisen.
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Kompositionalität ein herausragendes Merkmal des Bonobo-Gesangssystems ist und stärkere Parallelen zur menschlichen Sprache aufweist als bisher angenommen.»
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