«Russland ist mit ziemlicher Sicherheit nicht an einem direkten militärischen Konflikt mit den Streitkräften der USA und der NATO interessiert», haben die US-Geheimdienste festgestellt. Sie schreiben das in ihrem am 11. März vorgestellten Jahresbericht über die möglichen Bedrohungen für die USA. Den gibt das Office of the Director of National Intelligence heraus, in dem alle 18 US-Geheimdienste zusammengeschlossen sind.
Weiter heisst es darin zu Russland, es werde seine «asymmetrischen Aktivitäten unterhalb der Schwelle fortsetzen, die es als Schwelle für einen militärischen Konflikt auf globaler Ebene ansieht». Die US-Geheimdienste beschreiben in ihrem gemeinsamen Bericht Russland als «hartnäckigen und fähigen Gegner in einer Vielzahl von Bereichen».
Moskau wolle seine Interessen weltweit durchsetzen, wird festgestellt. Zugleich wird dem Kreml vorgeworfen, er wolle «die Vereinigten Staaten und den Westen untergraben». Die russischen Interessen würden «auf konkurrierende und manchmal konfrontative und provokative Weise» verfolgt, so die US-Schlapphüte.
In deren Bericht wird viel gemutmasst, und die Grundidee der «russischen Gefahr» wird darin aufrecht erhalten. Zu den Vermutungen gehört, dass der Krieg in der Ukraine Russland mehr geschadet als genutzt habe.
So ist auch entgegen der Erkenntnisse von Militärexperten von einer «gross angelegten Invasion in der Ukraine» die Rede. Auch wird behauptet, Russlands Präsident Wladimir Putin habe ursprünglich die «vollständige Unterwerfung der Ukraine» angestrebt, aber nicht erreicht. In dem öffentlich zugänglichen Bericht wird das nicht weiter belegt.
Die US-Geheimdienste befinden unter anderem, Moskau werde «weiterhin alle verfügbaren Quellen nationaler Macht nutzen, um seine Interessen durchzusetzen». Da bleibt die Frage, was für eine Erkenntnis das ist, dass dazu teure Geheim- und Nachrichtendienste notwendig sind. Und bei dem Vorwurf, Russland versuche, «die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten zu unterminieren», kann der Eindruck entstehen, die Autoren beschreiben da ihr Spiegelbild.
Ihre Analyse erscheint wie eine Mischung aus grundsätzlichen ideologischen Sichten von der «russischen Gefahr» und der realistischen Einschätzung der tatsächlichen Situation. So wird unter anderem neben der Bedrohung immer wieder erklärt, dass Russland in Folge des Krieges und der antirussischen Sanktionen wirtschaftlich geschwächt sei. So werde sich das russische Militär infolge der «umfangreichen Verluste an Ausrüstung und Personal» in der Ukraine «über mehrere Jahre hinweg erholen» müssen.
Zu den Nuklearwaffen stellen die US-Geheimdienste fest, Moskau betrachte diese «als notwendig für die Aufrechterhaltung der Abschreckung und die Erreichung seiner Ziele in einem potenziellen Konflikt mit den Vereinigten Staaten und der NATO und sieht darin den ultimativen Garanten für die Russische Föderation». Zwar wird die «Sorge, dass Putin Atomwaffen einsetzen könnte», erwähnt, aber irgendeinen ernstzunehmenden Hinweis auf eine solche reale Gefahr wird nicht gebracht.
Auch die Behauptungen, Moskau wolle wie «seit Jahrzehnten» die US-amerikanische Präsidentschaftswahl auch in diesem Jahr beeinflussen, werden wieder vorgebracht. Irgendwelche Belege? Fehlanzeige. Dabei hatte sich doch «Russiagate» 2016 als Propaganda-Kampagne der US-Demokraten gegen Donald Trump erwiesen, die von A bis Z erlogen war.
Insofern ist, wie gesagt, die aktuelle Analyse der US-Geheimdienste eine Mischung aus Fakten und «Narrativen». Ohne Letztere geht es wenig überraschend nicht – vielleicht, um auszugleichen, dass die tatsächliche «russische Gefahr» kleiner ist als andere sie darstellen.
Denn ungeachtet solcher Erkenntnisse begründen Politiker aus NATO-Ländern ihre Aufrüstungs- und Kriegspolitik mit einem angeblich in den nächsten Jahren drohenden Angriff Russlands, unterstützt von den etablierten Medien. So berichteten deutsche Medien jüngst über Geheimdienstanalysen für die Bundesregierung, wonach Russland ab 2026 «Teilgebiete der NATO» wie das Baltikum oder Finnland angreifen könnte.
«Geheimdienstkreise» hätten die Regierung gewarnt, «dass sich Moskau auf einen grundsätzlichen Konflikt mit dem Westen einstelle», heisst es. Zuvor hatten bereits eine Reihe von deutschen zivilen «Militärexperten» behauptet, Russland werde nach einem Sieg in der Ukraine die NATO angreifen.
Wenig überraschend gab es dieser Tage ebenso Meldungen, wonach der litauische Geheimdienst behauptet, dass sich Russland auf eine langfristige Konfrontation mit der NATO vorbereite. Belege sind auch hier Fehlanzeige, aber immerhin wird den Berichten nach darauf hingewiesen, dass das nicht zwangsläufig Krieg heissen muss.
Aber in diese Richtung wird seit Monaten in verschiedenen NATO-Ländern Stimmung gemacht, die alle wieder «kriegstüchtig» sein wollen, durch Aufrüstung über erneute Wehrpflicht bis hin zum Bau neuer Bunker. Die Frage, ob Moskau vielleicht nur auf die westliche Politik und deren zugespitzte Konfrontationshaltung reagiert, wie unter anderem Präsident Putin mehrfach erklärt hat, scheint sich keiner der dafür Verantwortlichen zu stellen.
Tatsächliche Militärexperten wie der Ex-Oberst Wolfgang Richter sowie die Ex-Generale Erich Vad und Harald Kujat haben in den letzten Wochen immer wieder darauf hingewiesen, in den USA werde mit Blick auf den Ukraine-Krieg und die Folgen «weitaus nüchterner diskutiert als in Deutschland». Vielleicht ist der Bericht der US-Geheimdienste ein Beleg dafür. Er könnte ein wenig zu mehr Sachlichkeit und Nüchternheit in der Aussenpolitik der USA und der von ihr abhängigen Staaten beitragen – aber das ist nicht in Sicht.
Dazu sei auf etwas verwiesen, was die beiden britischen Journalisten Jim Garrison und Pyare Shivpuri schon 1987 in ihrem Buch «Die russische Bedrohung – Mythos oder Realität» schrieben:
«Der Auffassung, die Russen seien unsere ‹Feinde›, und die Friedensbewegung im Westen sei von ihnen gekauft, steht die Behauptung gegenüber, das eigene Land sei der Hort alles Guten, der Gerechtigkeit und der Freiheit. Das imperialistische und aggressive Vorgehen des eigenen politischen Systems lässt sich praktisch nicht mehr erkennen, sobald man sich darauf festgelegt hat, wer als Feind anzusehen sei.»
Die beiden Autoren warnten auch davor, dass die Öffentlichkeit im Verfolgungswahn nicht mehr verstehen könne, wie sich das eigene Land durch die vermeintlichen «Vorsichtsmassnahmen» gefährde. Was sie in der Endphase des «Kalten Krieges» schrieben, klingt 37 Jahre später immer noch hochaktuell.
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