Laut mehreren israelischen Zeugen hat die israelische Armee (IDF) nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober auch eigene Bürger umgebracht (wir berichteten hier, hier und hier). Dabei äusserte beispielsweise der israelische Reservepilot Oberst Nof Erez die Vermutung, dass sich die Netanjahu-Regierung auf die berüchtigte Hannibal-Direktive berufen hat.
Diese schreibt vor, dass die IDF angehalten ist, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um eine Gefangen- oder Geiselnahme von Soldaten – in diesem Fall durch militante Palästinenser – zu verhindern, auch wenn dies im Extremfall den Tod der Soldaten bedeutet. Berichten zufolge ist sogar der Gefangene selbst angehalten, nicht lebend in Gefangenschaft zu geraten und sich und seine Entführer im äußersten Fall mittels Handgranate zu töten.
Nun bestätigt die israelische Zeitung Haaretz, dass die Hannibal-Direktive an dem Tag tatsächlich angewendet wurde:
«Dokumente, die Haaretz erhalten hat, sowie Aussagen von Soldaten und hohen und mittleren Offizieren der [israelischen] Armee, zeigen, dass es eine Reihe von Befehlen gab, die die Gaza-Division, das Südkommando und der Generalstab bis zum Nachmittag des 7. Oktobers erhalten haben. Dadurch wird offenbar, wie umfassend das Hannibal-Verfahren in den ersten Stunden des Hamas-Angriffs und an verschiedenen Stellen in der Umgebung angewandt wurde.»
Die Hannibal-Prozedur sei um 7:18 Uhr ausgelöst worden, und zwar nach einer Entführung am Erez-Grenzübergang. Daraufhin habe es weitere Befehle gegeben, als das Ausmaß der Angriffe und Entführungen ersichtlich wurde. Um 11:22 Uhr sei beispielsweise folgende klare Anweisung über das Netzwerk der Gaza-Division verbreitet worden:
«Kein Fahrzeug darf nach Gaza zurückkehren.»
Eine hochrangige IDF-Quelle bestätigte gegenüber Haaretz, dass die Hannibal-Prozedur am 7. Oktober angewendet wurde, jedoch nicht durch den Divisionskommandeur. Die Details dazu sollen durch Nachkriegsuntersuchungen geklärt werden.
Haaretz ist nicht in Kenntnis darüber, wie viele Zivilisten und Soldaten durch diese Maßnahmen getroffen wurden, aber die gesammelten Daten deuten darauf hin, dass viele Entführte dem israelischen Feuer ausgesetzt waren.
Ein bekanntes Beispiel, bei dem Zivilisten ums Leben kamen, ist die Attacke auf das Haus von Pessi Cohen im Kibbutz Be’eri. In dem Haus waren 14 Geiseln gefangen gehalten worden – und 13 von ihnen wurden beim Angriff der IDF getötet.
Noch am Abend des 7. Oktober, um 21:33 Uhr, befahl das Südkommando, das Grenzgebiet mit Panzern abzuriegeln und ohne Einschränkungen auf jeden zu schießen, der sich dem Grenzgebiet nähert.
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