Nach dem Blackout, der am 28. April fast die gesamte iberische Halbinsel, Portugal und einige Gemeinden Südfrankreichs lahmlegte, hat die spanische Regierung rund um den Ministerpräsidenten Pedro Sánchez ein beispielloses Verwirrspiel inszeniert. Jetzt hat sie ihren ersten offiziellen Bericht publiziert und die Schuldigen ausgemacht: Ein Cyberangriff wird ausgeschlossen und die Verantwortung wird dem Netzbetreiber Red Eléctrica und den Stromerzeugern in die Schuhe geschoben.
Wochenlang haben Pedro Sánchez und die Präsidentin von Red Eléctrica, Beatriz Corredor, behauptet, sie hätten einen guten Job gemacht und die erneuerbaren Energien und ein Mangel an Strom aus konventionellen Energiequellen – wie beispielsweise Atomkraftwerken – seien nicht verantwortlich für den Blackout gewesen. Nun erklärte die dritte Vizepräsidentin und Ministerin für den ökologischen Übergang, Sara Aagesen, auf einer Pressekonferenz, es habe «ein Überspannungsproblem im Netz gegeben, das nicht richtig gedämpft wurde und schließlich das gesamte System lahmlegte».
Wie die regierungstreue Zeitung El País berichtet, wies Aagesen einerseits auf einen möglichen Planungsfehler von Red Eléctrica hin, andererseits teilte sie mit, dass es offenbar «einen anomalen Betrieb der Kraftwerke gegeben hat, die zur Kontrolle der Spannung hätten beitragen sollen». Die Vizepräsidentin tat kund, dass hinter dem Stromausfall womöglich «eine Kombination aus beidem» steckte. Dabei ist anzumerken, dass der spanische Staat mit 20 Prozent größter Aktionär von Red Eléctrica ist.
Laut Aagesen hatte Red Elétrica angeblich zehn konventionelle Kraftwerke (Gas-, Kohle-, Kernkraftwerke usw.) unter Berücksichtigung der Nachfrage- und Erzeugungsprognosen so programmiert, dass sie am 28. verfügbar waren, um Überspannungsepisoden bewältigen zu können. In der Nacht zuvor habe der Eigentümer eines dieser Kraftwerke jedoch mitgeteilt, dass sein Unternehmen am folgenden Tag nicht betriebsbereit sein würde. Daraufhin habe Red Eléctrica beschlossen, kein zusätzliches Kraftwerk zu aktivieren.
«Sie haben ihre Berechnungen durchgeführt und festgestellt, dass dies nicht notwendig war. War es auch nicht», erklärte Aagesen.
Hier könnte der Planungsfehler liegen, schreibt El País. Denn als es darum ging, die Spannungsspitzen zu bewältigen, die schließlich zum Zusammenbruch des Systems führten, hätten die neun Kraftwerke nicht wie geplant gearbeitet. «Jedes einzelne von ihnen wies einen gewissen Grad an Nichteinhaltung auf und konnte die Spannung nicht wie erwartet abfangen», so Aagesen.
Die Vizepräsidentin betonte auch, dass das System über ausreichende Erzeugungskapazitäten verfügt habe, um reagieren zu können. «Es gab genügend Erzeugungskapazitäten», behauptete sie, um klarzustellen, dass das Problem nicht in einem Mangel an Stromerzeugung lag.
Trotzdem schließt die Regierung Rücktritte zum jetzigen Zeitpunkt aus. Auf die Frage, ob zum Beispiel ins Auge gefasst wurde, die Präsidentin von Red Eléctrica, Beatriz Corredor, zur Verantwortung zu ziehen, weigerte sich Aagesen, genaue Angaben darüber zu machen. Auch wollte sie nicht preisgeben, welche Anlagen ausgefallen sind und zu welchen Unternehmen sie gehörten. Allerdings hat die Politikerin bereits angekündigt, dass sie nächste Woche ein Gesetzesdekret verabschieden wird, um das System besser überwachen zu können, damit sich ein ähnlicher Vorfall nicht wiederholt.
Anmerkung Transition News:
Bei der Ermittlung der Blackout-Ursachen hat die spanische Regierung eine einzigartige Schmierenkomödie in Szene gesetzt. Statt Klarheit zu schaffen, säte sie Chaos. Die Aufklärung des Vorfalls schien für die verantwortlichen Politiker vor allem darin zu bestehen, so viele widersprüchliche Informationen wie möglich in die Welt zu setzen, ihre Meinung täglich zu ändern, die Schuld weit von sich zu weisen – und sie am besten anderen in die Schuhe zu schieben.
Schon am 3. Mai haben wir ausführlich über diesen Politzirkus berichtet. Das wochenlange Verwirrspiel führte sogar dazu, dass die britische Zeitung The Telegraph am 23. Mai verkündete, Pedro Sánchez habe den Blackout fahrlässig und durch «ein kontrolliertes Experiment» provoziert.
Wirtschaftsredakteur Ambrose Evans-Pritchard war zu dem Schluss gekommen, dass «der Geruch einer Vertuschung über dem schlimmsten Stromausfall in einem Industrieland der Neuzeit hängt». Die Regierung von Pedro Sánchez versuche, mit Erklärungen Zeit zu gewinnen, die entweder «keinen technischen Sinn ergeben oder ins Absurde kippen». Auch Netzbetreiber Red Eléctrica mauere.
Dann ließ der Journalist seine Bombe hochgehen: Anonyme Quellen in Brüssel hätten ihm versichert, dass die spanischen Behörden kurz vor dem Zusammenbruch des Systems ein Experiment durchgeführt hätten. Die Regierung habe herausfinden wollen, wie weit sie die Abhängigkeit von erneuerbaren Energien vorantreiben könne, denn Spanien plane bis 2027 den «kompletten und überstürzten Ausstieg» aus der Kernkraft.
Sollte sich herausstellen, dass es sich beim spanischen Stromausfall um ein Experiment gehandelt habe, das schief ging, und sollte diese Information der Öffentlichkeit fast vier Wochen lang vorenthalten worden sein, drohe der links-sozialistischen spanischen Regierungskoalition der Untergang, hatte Evans-Pritchard prophezeit. Denn die Regierung habe «durch eine goldene Aktie de facto die Kontrolle über Red Eléctrica». Das sei ein Verstoß gegen die EU-Normen.
Der Artikel weckte allerdings den Verdacht, dass auch Evans-Pritchard spezielle Interessen verfolgte: Nämlich diejenigen, die die EU-Kommission und internationale Banken schon direkt nach dem Blackout gefordert hatten: Weitere kostspielige Investitionen in die privat-öffentliche Industrie der erneuerbaren Energien – und eine Rückkehr zur Atomkraft. Hier erfahren Sie mehr zum Thema.
Natürlich wurde der Artikel von The Telegraph von der spanischen Regierung als «Schwindel» und «Verschwörungstheorie» diffamiert (wir berichteten).
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