Die spanische Regierung treibt das Verwirrspiel um die Ursachen des Blackouts, der am 28. April fast die gesamte spanische Halbinsel, Portugal und einige Gemeinden in Südfrankreich lahmlegte, weiterhin voran. Statt Klarheit zu schaffen, wird Chaos gesät. Auch mehr als einen Monat nach dem Netzkollaps ist die Regierung nicht vorangekommen bei ihrer Aufklärungsarbeit.
Nach wie vor behaupten sowohl Regierungschef Pedro Sánchez als auch das multinationale Unternehmen mit spanischen Wurzeln, Red Eléctrica, der massive Stromausfall habe nichts mit dem Mangel an Strom aus Atomkraftwerken oder mit der Abhängigkeit von erneuerbaren Energien zu tun gehabt (wir berichteten hier, hier, hier und hier).
Meinungen, die vom offiziellen Narrativ abweichen, sind unerwünscht. Jetzt hat sich die Regierung Sánchez sogar mit der britischen Traditionszeitung The Telegraph angelegt und einen Artikel ihres Wirtschaftsredakteurs als Falschmeldung bezeichnet.
In seinem Beitrag hatte Ambrose Evans-Pritchard der spanischen Regierung vorgeworfen, den Blackout absichtlich provoziert zu haben, um die Kapazität der erneuerbaren Energien im Vorfeld des geplanten Atomausstiegs zu testen. Dieses Experiment sei schiefgegangen – und «für dieses Fiasko müssten Sánchez und seine Partei PSOE vor ein politisches Gericht» gestellt werden, hatte er vorgeschlagen (wir berichteten).
Die Wellen um den Artikel schlugen in Spanien hoch: Wissenschaftsministerin Diana Morant bezeichnete ihn als «Schwindel» und «Verschwörungstheorie» und erklärte, «wir müssen mit aller Entschiedenheit reagieren». Denn was die Zeitung veröffentlicht habe, sei «eindeutig eine Anschuldigung gegen die spanische Regierung». Zudem behauptete die erste Vizepräsidentin und Finanzministerin, María Jesús Montero, dass «hinter dieser These eine Interessengruppe der Wirtschaft steht».
Diese Idee ist nicht komplett von der Hand zu weisen. Allerdings in einem weitaus tieferen Zusammenhang, als die spanische Regierung zugeben will. Denn Evans-Pritchard hatte sich in seinem Artikel auf anonyme Quellen in Brüssel berufen und – wohl rein zufällig – genau die Maßnahmen vertreten, die die EU-Kommission und internationale Banken bereits kurz nach dem Blackout gefordert hatten: Nämlich weitere kostspielige Investitionen in die privat-öffentliche Industrie der erneuerbaren Energien – und eine Rückkehr zur Atomkraft.
Der Inhalt von Evans-Pritchards Beitrag weckte tatsächlich Verdachtsmomente, dass gewisse Interessen vorangetrieben werden sollen. Denn nach seinen Anschuldigungen gegen die spanische Regierung und einem flammenden Plädoyer für die erneuerbaren Energien und Net Zero, war er wie aus heiterem Himmel umgeschwenkt und hatte gefordert:
«Im Falle Spaniens sollte Herr Sánchez vielleicht besser aufhören, einen Guerillakrieg gegen seine Atomindustrie zu führen. Laut Foro Nuclear haben die sieben spanischen Reaktoren ein Durchschnittsalter von 47 Jahren und könnten sicher auf 60 Jahre oder mehr verlängert werden.»
Auch die Entwicklungen nach dem Blackout sprechen eine eigene Sprache: Belgien will plötzlich wieder in die Nuklearenergie einsteigen und in Italien werden Pläne zum Bau von «Kernreaktoren der neuen Generation» (SMR) umgesetzt, die als «absolut sicher» propagiert werden.
Mit diesem Schritt wolle Giorgia Meloni ihr Land zum «Stromdrehkreuz im Mittelmeerraum» machen. Der griechische Präsident Kyriakos Mitsotakis sei mit an Bord, informierte kürzlich das spanische Portal La Gaceta.
Auch Sánchez scheint den versprochenen Atomausstieg nicht so ernst zu nehmen, wie er den Bürgern weismachen will. Gerade im März berichteten spanische Medien, seine Regierung finanziere mit 5,6 Millionen Euro das Nuklearprojekt Rodas, um «in das Rennen um Strom aus Kernfusion» einzusteigen.
Also wird das Weltwirtschaftsforum wohl recht behalten: Die «Schicksalswende für die Atomkraft» ist da – und plötzlich steht auch wieder Bill Gates mit seinen «nachhaltigen» Minireaktoren im Raum. Dass der spanische Stromkollaps diese Entwicklung befeuern könnte, hatte ich schon in diesem Artikel über den Blackout erwähnt.
Denn eines scheint sicher: Erneuerbare Energien reichen nicht aus, um genug Strom für die prätentiösen Digitalisierungsprojekte der EU zu liefern. Man muss sich nur vor Augen führen, dass Big Tech-Unternehmen wie Oracle, Microsoft oder Google schon angekündigt haben, sie würden die Stromversorgung ihrer KI-Rechenzentren am liebsten mit eigenen Atomkraftwerken sichern wollen – im Sinne der Klimaneutralität.
Klaus Schwabs «Vierte Industrielle Revolution» lässt grüßen – und erinnern Sie sich daran, dass von der Leyen gleich nach ihrer «Wiederwahl» im Juni 2024 angekündigt hatte, sie werde in ihrem nächsten Team ein eigenes Ressort für den Mittelmeerraum einrichten, um der Region in ihrer nächsten Amtszeit mehr Aufmerksamkeit zu widmen? Jetzt wissen wir womöglich auch, warum.
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