Herr Zölch hat am Montag den Strafvollzug angetreten.
Pflichtverteidiger Martin Gärtl
Liebe Leserinnen und Leser
Es war etwa Mitte der 1980er Jahre, als der Berner Medienrechtler Franz A. Zölch in einer Lehrveranstaltung im Fach Medienwissenschaften in Bern einen Gastvortrag hielt. Der Jurist war perfekt gekleidet, geschliffen in der Argumentation und zuvorkommend bei der nachfolgenden Frage-Antwort-Runde. Die Studentinnen und Studenten hingen ihm an den Lippen.
Seine damalige Ehefrau war Regierungsrätin, also Ministerin der Kantons Bern – ein Power Couple wie man das heute nennt. Im Militär brachte er es zum Brigadier.
Vor dem Franzoseneinfall im März 1798 wurde Bern von einer genau definierten Anzahl Familien regiert. Nur diese hatten das Wahlrecht und waren im Großen Rat, dem Parlament, vertreten. Sie wählten auch den kleinen Rat, die Regierung, die vom Schultheißen geleitet wurde. Einer meiner Vorfahren und Namensvetter fertigte ihnen damals Uhren an.
Bis heute genießen sie – ein weltweites Unikum – gewisse Privilegien. Ihnen gehört etwa ein Drittel des Stadtbodens, zum Beispiel das Casino, die große Konzerthalle. Da sie viel für das Gemeinwohl tun und ihre Macht im Allgemeinen weder zur Schau stellen noch missbrauchen, wird das bisher selbst im linken Bern toleriert. Franz A. Zölch ist auch Bernburger. Mehr high society geht nicht.
Einige Jahre später begegnete ich ihm bei einem anderen Anlass. Alles, was in Bern Rang und Namen hatte, war dort. Innert kürzester Zeit nahm Zölch mit einer sehr originellen und kurzweiligen Rede das Auditorium für sich ein.
Seit diesem Montag befindet sich der 75-Jährige im Strafvollzug in der Anstalt Witzwil, wie die Berner Zeitung schreibt. «Herr Zölch hat am Montag den Strafvollzug angetreten», bestätigt sein Pflichtverteidiger Martin Gärtl.
Zölch hatte jahrelang Leute betrogen und um viel Geld gebracht. Damit kam er lange durch, bis ihn das Regionalgericht Bern-Mittelland 2021 zu 30 Monaten Haft verurteilte. Seine Ehefrau, die ehemalige Regierungsrätin, hatte sich von ihm getrennt – von seinen finanziellen Machenschaften will sie nichts gewusst haben.
Ein Jahr später verschärfte das Berner Obergericht das Urteil gegen Zölch wegen gewerbsmäßigen Betrugs auf vier Jahre und fünf Monate Gefängnis. Der Gerichtspräsident bezeichnete ihn als «ein Serienbetrüger ohne Einsicht und Reue». Dieses Urteil wurde rechtskräftig, da Zölch auf einen Weiterzug ans Bundesgericht verzichtete – aus gesundheitlichen Gründen, hieß es damals.
Ab diesem Zeitpunkt brachte Zölch während zwei Jahren stets neue gesundheitliche Gründe vor, die angeblich seinen Haftantritt verunmöglichten. Gleichzeitig wurde er mehrfach öffentlich gesehen, etwa als er eine Veranstaltung moderierte oder arbeitete, obwohl er offiziell kein Geld hatte und am Existenzminimum lebte. Es blieb rätselhaft, wie er sich mit einer Rente von 2390 Franken eine prächtige Wohnung und ein Auto leisten konnte.
Indem der Jurist fast zwei Jahre lang mit allen juristischen Tricks gegen den Haftantritt vorging, sorgte er für eine weitere Verzögerung. Zuletzt schaltete Zölch das Bundesgericht ein. Dieses wies seine Beschwerde jedoch ab und entschied, dass er seine Freiheitsstrafe absitzen muss.
Die Interessengemeinschaft Zölch-Geschädigter (IGZG) geht davon aus, dass insgesamt etwa hundert Personen um rund vier Millionen Franken gebracht wurden. Sie machte immer wieder Druck und sorgte dafür, dass der Fall von der bernischen Justiz nicht schubladisiert wird.
Den Vertrauensvorschuss seiner privilegierten gesellschaftlichen Stellung nützte Zölch – so heißt es in den Urteilen der Gerichte - «eiskalt» aus. Der Rechtsstaat hat dann doch noch funktioniert – aber mit langer Verzögerung. Und es ist mehr als fraglich, ob die Geschädigten von ihrem Geld noch etwas sehen werden.
Szenenwechsel: Der frühere griechische Landwirtschaftsminister der regierenden Partei Nea Dimokratia (ND), Lefteris Avgenakis, hat auf dem Athener Flughafen Eleftherios Venizelos einen Flughafenangestellten brutal attackiert. Der Vorfall ereignete sich am 28. Juni, als Avgenakis seinen Flug nach Kreta verpasste. Er reagierte daraufhin aggressiv, stürmte hinter den Flughafenschalter und griff einen 22-jährigen Mitarbeiter an, indem er diesem zurief: «Weißt Du überhaupt, wer ich bin?» Pech für den Politiker: Das Geschehen wurde von einer Überwachungskamera aufgezeichnet, das Video kursierte in den Medien und führte zu öffentlichen Empörungen.
Premierminister Kyriakos Mitsotakis musste Avgenakis daraufhin aus der Fraktion der Nea Dimokratia ausschließen. Der Angriff löste Ermittlungen der Staatsanwaltschaft aus. Avgenakis drohten Anklagen wegen Nötigung, Gewaltanwendung und anderen Straftaten. Die Flughafenmitarbeitergewerkschaft unterstützte den angegriffenen Kollegen und stellte weiteres Bild- und Videomaterial zur Verfügung.
Die Frage: «Weißt Du überhaupt, wer ich bin?» habe ich in Hellas schon mehrmals gehört. So reagieren jeweils Mitglieder des griechischen Establishments, wenn sie nicht sofort erkannt werden und nicht gleich in den Genuss einer privilegierten Behandlung kommen. Mittlerweile hat der Flughafenmitarbeiter auf Druck hin seine Anzeige zurückgezogen.
Durch solche Machenschaften erodiert der Rechtsstaat. In Griechenland zum Beispiel ist diese Erosion, wie ich in mehreren Beiträgen für Transition News zeigte, weit fortgeschritten. Dass die bernische Justiz derart zögerte, gegen den ehemaligen Sunnyboy Zölch vorzugehen, stellt ihr ein schlechtes Zeugnis aus. Dass es dann dank der Hartnäckigkeit der Geschädigten trotzdem klappte, ist tröstlich.
Herzlich
Daniel Funk
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