Transition News: Herr Hofbauer, was hat sie motiviert, das Buch zu schreiben? War es Ihr Interesse als Historiker an der Geschichte von Wirtschaftskriegen oder Ihr Interesse als politisch interessierter Mensch an brisanten Fragen der Gegenwart?
Hannes Hofbauer: Es war von beiden etwas. Der Geschichte wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen habe ich mich bereits während meiner Arbeit an der Dissertation gewidmet. Damals schrieb ich über die europäische Entwicklung unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese war ja geprägt vom Marshallplan und seinem Gegenstück, dem Coordinating Committee (COCOM). Ersterer diente dem Wiederaufbau Westeuropas – und wohl auch der Umstellung der US-Industrie von Kriegsindustrie auf zivile Produktion, indem der westeuropäische Markt für US-Investoren geöffnet wurde; das COCOM umfasste Handelsverbote gegen den Osten. Erst 1994 wurde es aufgelöst. Washington wollte mit ihm die Sowjetunion und die anderen kommunistischen Länder wirtschaftlich in die Knie zwingen. Die russische Bevölkerung hat also bereits eine lange Erfahrung mit Embargos und Sanktionen. Als dann die USA und die EU im März/April 2014 wieder Sanktionsmaßnahmen gegen russische Unternehmer und Unternehmen beschlossen, ging es nicht mehr gegen den Kommunismus, den gab es ja nicht mehr. Jetzt argumentierte man den Wirtschaftskrieg mit der Einmischung Russlands in den Zerfallsprozess der Ukraine und nutzte ihn gleichzeitig, um kapitalstarke Konkurrenten, also Oligarchen, die sich in den 1990er Jahren am russischen Volkseigentum bereichert hatten, von den Börsenplätzen und Yachthäfen des Westens zu verdrängen.
Was ist aus Ihrer Sicht die zentrale Erkenntnis Ihres Buchs? Was hat Sie überrascht?
Eine wichtige Erkenntnis besteht darin, dass ein Land von der Größe Russlands mit all seinen Ressourcen und seiner atomaren Bewaffnung wirtschaftlich von außen nicht ruiniert werden kann, wie sich das die deutsche Außenministerin gewünscht hatte. US- oder EU-Sanktionen mögen gegen kleine Staaten Erfolge erzielen, gegen Russland scheitert das Sanktionsregime und kehrt sich zunehmend gegen die sanktionierenden Staaten um; wobei hier stark zu unterscheiden ist, was die Folgen für die USA und EU-Europa betrifft. Die US-Volkswirtschaft profitiert davon u.a. wegen ihrer Energieexporte nach Westeuropa. Staaten wie Deutschland gehören zu den Verlierern, schon deshalb, weil sie sich selbst mit den Sanktionen von billiger Energie aus Russland abschneiden.
Die EU-Sanktionen gegen Russland sind also mitverantwortlich für die aktuell angespannte wirtschaftliche Lage in Deutschland?
Die Staats- und Mainstreammedien verbreiten die Erzählung, der Kreml mit seinem Einmarsch in die Ukraine sei schuld an der Energiemisere und den sich daraus ergebenden Preiserhöhungen, die einen markanten Wohlstandsverlust nach sich ziehen. Das ist lächerlich und falsch. Es waren natürlich die EU-Sanktionen gegen Russland, die das energiepolitische Band zwischen Berlin und Moskau zerschnitten haben.
In der Tat sieht es derzeit danach aus, als breche das Ende der billigen Energie aus Russland der deutschen Industrie das Genick. Wie realistisch ist Ihrer Ansicht nach die Aussicht auf ein Ende der Sanktionen bzw. auf eine Rückkehr zu billigem Gas aus Russland?
Da sehe ich in nächster Zukunft keine Chance, dass sich der wirtschaftliche Bruch, der ja vom Westen mutwillig zum Zaun gebrochen wurde, wieder einrenkt. Ja sogar für die fernere Zukunft ist das unrealistisch. Russland hat längst neue Abnehmer für Öl und Gas gefunden und auch neue Handelswege aufgetan. Mehr noch: der Globale Süden und Eurasien wollen möglichst weg vom Dollar und dem Euro; bei BRICS stehen Anwärter auf Mitgliedschaft Schlange. Und auch der neue US-Präsident Donald Trump, der versprochen hat den Krieg in der Ukraine zu beenden, wird meiner Meinung nach kein Interesse haben, die anti-russischen Sanktionen aufzuheben. Sie garantieren vielen US-Konzernen satte Gewinne – und halten EU-Europa in Schach.
Für wie gefährlich halten Sie den aktuellen Konflikt? In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Wirtschaftskrieg und Schießkrieg oft in einem engen Zusammenhang stehen.
Das ist in der Geschichte immer wieder erkennbar, dass Wirtschaftskriege in Schießkriege übergehen. Das Beispiel der napoleonischen Kontinentalsperre zeigt dies deutlich. Napoleon hatte 1806 England wirtschaftlich strangulieren wollen und drohte allen anderen Mächten, die französischen Sanktionen gegen England mitzumachen, also Sekundärsanktionen – würden wir heute sagen – zu befolgen. Als sich der russische Zar nicht daran hielt und im Gegenteil englische Waren in Massen auf den Kontinent brachte, antwortete Napoleon mit dem Russlandfeldzug. Eine solche Abfolge von Wirtschaftskrieg zum Schießkrieg muss nicht automatisch sein, ist aber in der Geschichte immer wieder zu beobachten. In der aktuellen Situation wird viel darauf ankommen, wie sich die neue US-Administration zur Frage des Krieges gegen Russland verhält.
Wie wird sich die Situation unter dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump entwickeln? Ist mit einem grundlegenden Politikwechsel zu rechnen?
Als Historiker könnte ich es mir leicht machen und antworten, dass ich die Geschichte analysieren aber in die Zukunft nicht blicken kann. Umso weniger, als Trump völlig unberechenbar scheint. Das Mittel der Wirtschaftssanktionen hat er in seiner ersten Amtszeit immer wieder strapaziert, so zum Beispiel gegen den Iran und das in einer Situation, in der die EU dabei nicht mitgespielt hatte.
Sie kritisieren die USA beziehungsweise den Westen sehr scharf. Aber kann man Russland so einfach davonkommen lassen? In Ihrem Buch weisen Sie beispielsweise daraufhin, dass innerhalb der Europäischen Union bereits vier nationale Parlamente Russland als Terrorunterstützer brandmarken. Es handelt sich dabei um Polen, Litauen, Estland und Lettland, also ausgerechnet um die unmittelbaren Nachbarstaaten Russlands. Muss man deren Bedenken nicht ernst nehmen?
Russland ist sicherlich kein Terrorstaat und auch keiner, der Terroristen unterstützt. Der Kreml weiß allerdings sehr wohl wie er seinerseits mit Zuckerbot und Peitsche seine kleineren ex-sowjetischen Nachbarn unter Druck setzen kann. Ich erinnere nur an den Weinkrieg gegen Moldawien im Jahr 2006, mit dem das kleine Land davon abgehalten werden sollte, sich in Richtung EU zu bewegen. Die Sanktionsgeschichte wird allerdings hauptsächlich von den USA geschrieben, wobei Brüssel dabei nur wenig nachsteht. In meinem Buch «Im Wirtschaftskrieg» liste ich 31 Staaten auf, die seit den 1990er-Jahren mit US-Sanktionen Bekanntschaft machten mussten.
Wo sehen Sie das Verhältnis Russlands zum Westen in zehn Jahren?
Der transatlantische Raum unter US-Führung befindet sich seit Ende der 1970er Jahre im Abstieg, der pazifisch-asiatische Raum unter Führung Chinas im Aufstieg. Die anti-russischen Sanktionen des Westens beschleunigen diesen Prozess. Das bedeutet, Russland muss sich in Zukunft immer weniger um gute Beziehungen zum Westen bemühen, weil sich die Zentralitäten in der Welt ändern. Es wird für Moskau viel wichtiger, wie sich das russisch-chinesische Verhältnis entwickelt als jenes zur Brüsseler EU. Ich bin gespannt, wo in Westeuropa sich diese Erkenntnis zuerst durchsetzen wird.
Herr Hofbauer, vielen Dank für das Gespräch!
Buchtipp:
Hannes Hofbauer: «Im Wirtschaftskrieg. Die Sanktionspolitik des Westens und ihre Folgen. Das Beispiel Russland»
Promedia Verlag 2024. 256 Seiten; ISBN: 978-3-85371-533-8; 22 Euro
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