Deutschland – einst als Bollwerk der demokratischen Grundrechte gepriesen – gerät zunehmend in die Kritik. Der Vorwurf: Die Meinungsfreiheit werde durch übermäßige Strafverfolgung und politische Sensibilitäten eingeschränkt. Jüngst machte der britische Economist auf dieses Phänomen aufmerksam und verglich die Vorgänge in der Bundesrepublik mit dem sogenannten «Streisand-Effekt», bei dem der Versuch, Informationen zu unterdrücken, genau das Gegenteil bewirkt.
Auslöser war ein Fall, der in den sozialen Medien hohe Wellen schlug: Der Journalist David Bendels hatte ein satirisch manipuliertes Bild der amtierenden Innenministerin Nancy Faeser veröffentlicht. Darauf zu sehen: Die Politikerin mit einem Schild, auf dem stand: «Ich hasse Meinungsfreiheit.» Der juristische Nachhall war gravierend. Bendels wurde zu sieben Monaten Haft auf Bewährung sowie einer Geldstrafe verurteilt – inklusive einer offiziellen Entschuldigung bei der Ministerin.
Das Urteil erntete nicht nur in Deutschland Empörung. Für viele war es ein klares Signal, dass kritische oder satirische Stimmen zunehmend unterdrückt werden – und das in einem Land, dessen Grundgesetz die Meinungsfreiheit ausdrücklich schützt. Doch die Justiz argumentiert anders: Das Bild sei nicht eindeutig als Satire erkennbar gewesen, womit es in die Nähe der Verleumdung rückte.
Deutschland ist bekannt für seine strengen Regelungen in Bezug auf Hassrede und Desinformation (wir berichteten zum Beispiel hier und hier). Seit 2021 dürfen Gerichte Politikerbeleidigungen besonders hart ahnden, wenn sie dadurch in ihrer Amtsführung «erheblich beeinträchtigt» werden. Kritiker befürchten, dass dieses Schlupfloch nun systematisch genutzt wird, um unliebsame Stimmen zum Schweigen zu bringen.
Bezeichnend ist der Fall eines Rentners, der auf X ein Bild mit einer abfälligen Bemerkung über Vizekanzler Robert Habeck teilte – was prompt eine Hausdurchsuchung nach sich zog. Ebenso wurde ein Journalist verurteilt, weil er Habeck satirisch mit einer Alkoholikerrunde vom Bahnhof verglichen hatte. Das Urteil wurde zwar später aufgehoben, doch der Präzedenzfall bleibt bestehen.
Juristen und Medienexperten schlagen Alarm. Selbst der prominente Medienanwalt Christian Schertz, der sich generell für den Schutz politischer Persönlichkeiten ausspricht, hält das Urteil gegen Bendels für überzogen. Der Spagat zwischen Schutz vor Beleidigung und dem Erhalt eines lebendigen, freien Meinungsklimas werde immer schwieriger.
Besorgniserregend ist auch, dass laut einer Umfrage des Instituts Allensbach im Jahr 2024 nur noch 40 Prozent der Deutschen das Gefühl hatten, ihre Meinung frei äußern zu dürfen – halb so viele wie 1990. Das Vertrauen in die Meinungsfreiheit scheint zu bröckeln, nicht nur bei Rechten oder Konservativen, sondern auch bei Linken. So traf die Einschränkung öffentlicher Meinungsäußerung zuletzt auch pro-palästinensische Aktivisten und Wissenschaftler, deren Veranstaltungen aufgelöst oder Fördermittel gestrichen wurden.
Der Blick aus dem Ausland fällt kritisch aus: Wenn selbst US-amerikanische Politiker ironisch anmerken, dass ein «böser Tweet» in Deutschland zu einer Gefängnisstrafe führen könnte, scheint sich das internationale Bild der Bundesrepublik zu wandeln – weg von der Musterdemokratie hin zu einem Land, das seine freiheitlichen Grundsätze neu verhandeln muss.
Kommentare