Die britische Regierung wird diesen Sommer eine elektronische «Geldbörse» für die digitale Identität einführen. Die «GOV.UK Wallet» genannte Applikation wird es den Menschen ermöglichen, digitale Versionen ihrer Ausweisdokumente auf ihren Smartphones mitzuführen. Dieser «dramatische Wandel» hin zu einem digitalen ID-System stelle eine grundlegende Neugestaltung der Beziehung zwischen dem Staat und seinen Bürgern dar, stellt Reclaim The Net fest.
Die Initiative beginnt mit einer digitalen Version des Veteranenausweises der britischen Streitkräfte und wird noch im Laufe des Jahres um den Führerschein erweitert. Ziel sei es, bis 2027 alle staatlich ausgestellten Ausweise in einer einzigen, zentralen App zu konsolidieren, so das Portal. Großbritannien bewege sich damit auf eine Gesellschaft zu, in der physische Ausweise bald der Vergangenheit angehören könnten.
Als Modernisierungsmaßnahme und Teil ihrer umfassenden Digitalisierungsstrategie präsentiert die Regierung die Neuerung. Die Nutzung der GOV.UK Wallet werde optional sein und physische Dokumente könnten weiterhin verwendet werden. Außerdem betont sie, dass die Daten der Nutzer privat bleiben und nicht ohne vorherige Zustimmung weitergegeben würden.
Gleichzeitig erläutert die Regierung verschiedene Szenarien für die Verwendung der GOV.UK Wallet durch registrierte Verifizierungsdienste. Darin beschreibt sie auch deren Möglichkeit, mit den Informationen aus der Wallet neue wiederverwendbare digitale Identitätsdokumente zu erstellen, sogenannte «abgeleitete Berechtigungen». Bestimmte Unternehmen können darüber hinaus Daten der Wallet an andere Firmen übertragen, um Informationen über einen Nutzer zu erhalten.
Kritiker und Datenschutzbeauftragte warnen, dass der Komfort und die behauptete Effizienz mit erheblichen Nachteilen verbunden seien. Sie äußern ernste Bedenken hinsichtlich Überwachung, Datensicherheit und individueller Autonomie. Digitale Identitätssysteme seien attraktive Ziele für Cyberangriffe, betont Reclaim The Net, und die Dauerhaftigkeit biometrischer Daten bedeute, dass jeder Verstoß lebenslange Folgen haben kann.
Erhebliche Konsequenzen habe die Verankerung der digitalen Identität im Alltag ganz sicher. Sie führe zu Überwachungsmechanismen im Verkehr, beim Zugang zu Sozialleistungen und öffentlichen Dienstleistungen, die möglicherweise nur schwer rückgängig gemacht werden könnten.
Beispielsweise sei die Einführung digitaler Führerscheine in Großbritannien mit umfassenden Regulierungsreformen verbunden, darunter neu vorgeschlagene Regeln für den Kauf von E-Scootern, erklärt das Portal. Bei diesem Vorgang müssten Käufer künftig Führerscheindaten zur Identitätsprüfung angeben. Das verstärke die Annahme, dass der Zugang zu alltäglichen Dienstleistungen zunehmend von digitalen ID-Systemen abhängen werde.
Sobald die Datensammlung in der Wallet standardisiert sei, öffne dies die Tür für Funktionserweiterungen. Dabei könne der ursprüngliche Zweck der digitalen ID nach und nach auf neue Bereiche der Überwachung und Kontrolle ausgeweitet werden, befürchtet Reclaim The Net.
Im europäischen «Konzert» der Digitalisierung sind derlei Bedenken ebenso berechtigt. Die EU arbeitet selber fieberhaft an ihrer europäischen Brieftasche für digitale Identitäten (EUDI-Wallet), die Personalausweis und Führerschein genauso wie medizinische Daten, Reise-, Steuer- oder Impfdaten aufnehmen soll. Biometrische Identifizierung an europäischen Häfen und Flughäfen – inklusive britischen – wird derzeit getestet, und die EU hat gerade einen interoperablen biometrischen Abgleichdienst für Grenzkontrollen eingerichtet.
Das alles erinnert außerdem sehr an die Visionen des deutschen Digitalministers Karsten Wildberger, aufs Tempo drückt in Bezug auf ein digitales, europäisch vernetztes «Next Germany». In der Schweiz dürfen die Bürgerinnen und Bürger immerhin in einem Referendum über die Einführung einer elektronischen Identität (E-ID) abstimmen.