Die russische Regierung hat die deutsche Bundesregierung am Donnerstag deutlich gewarnt: Sollte Deutschland der Ukraine «Taurus»-Marschflugkörper liefern und damit russische Ziele angreifen, wertet Russland das als direkte Kriegsbeteiligung.
Das berichtet unter anderem das russische deutschsprachige Portal RT DE und beruft sich auf Aussagen von Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums. Sie sagte das demnach am Donnerstag bei einem Briefing.
Anlass sind Äußerungen des CDU-Vorsitzenden und möglichen Bundeskanzlers Friedrich Merz. Er hatte in einem ARD-Interview gesagt, eine «Taurus»-Lieferung sei grundsätzlich denkbar. Sacharowa kommentierte das laut RT DE so:
«Wissen Sie, ich denke, es wäre für den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz sinnvoll, Folgendes zu verinnerlichen: Da ein Kampfeinsatz dieser Marschflugkörper ohne direkte Unterstützung durch Bundeswehrsoldaten unmöglich ist, wird ein Angriff auf beliebige russische Ziele, insbesondere auf kritische Verkehrsinfrastruktur – und Merz hat dabei ganz selbstverständlich die Krim-Brücke als Ziel genannt – als direkte Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an den Kampfhandlungen auf Seiten des Kiewer Regimes gewertet werden. Mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen für Deutschland.»
Merz hatte am Sonntag in der ARD-Sendung «Carmen Miosga» gesagt, er würde weiterhin die «Taurus»-Marschflugkörper an die Ukraine liefern. Die Moderatorin hatte ihn an seine entsprechende Aussage vom 16. Oktober 2024 im Bundestag erinnert:
«Das geht so nicht weiter. Und wenn Putin das nicht akzeptiert, dann muss der nächste Schritt erfolgen und ihm gesagt werden: Wenn er nicht innerhalb von 24 Stunden aufhört, die Zivilbevölkerung in der Ukraine zu bombardieren, dann müssen aus der Bundesrepublik Deutschland auch ‹Taurus›-Marschflugkörper geliefert werden, um die Nachschubwege zu zerstören, die dieses Regime nutzt, um die Zivilbevölkerung in der Ukraine zu schädigen und zu bombardieren.»
Auf die Frage «Geht das noch?» von Miosga dazu erklärte der CDU-Vorsitzende, er habe das «genauso gesagt, wie ich es gemeint habe». Das bedeute für ihn «nicht, dass wir selbst in diesen Krieg eingreifen, sondern dass wir die ukrainische Armee mit solchen Waffen ausrüsten».
Merz will mit den «Taurus»-Marschflugkörpern die Ukraine aus der Defensive bringen, wie er erklärte. Er nannte während der Sendung der kaum kritisch nachfragenden Moderatorin auch ein Ziel:
«Dass zum Beispiel die wichtigste Landverbindung zwischen Russland und der Krim zerstört wird, auf der Krim, wo der größte Teil des militärischen Nachschubs für die russische Armee liegt. Das wäre eine Möglichkeit, dieses Land nun endlich mal strategisch auch … vor die Lage zu bringen.»
Merz fügte hinzu, er wolle das «nur in Abstimmung mit den europäischen Partnern tun». Die würden, wie die Briten und Franzosen, bereits Marschflugkörper liefern, die «Storm Shadow» und «Scalp». Auch die USA hätten das schon getan – «und wenn es abgestimmt wird, dann sollte Deutschland sich daran beteiligen».
Die Aussagen von Merz sorgen seitdem für Aufregung und Debatten. Nicht nur, dass er seine Vorwürfe vom Oktober wiederholte, Russland wolle gar nicht verhandeln und würde stattdessen jeden Vorschlag dazu mit Bombardements auf zivile Einrichtungen beantworten. Mit seiner Aussage, weiterhin «Taurus» an Kiew liefern zu wollen, ignorierte er die bisherige Weigerung des geschäftsführenden Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu diesem Schritt wie auch alle Warnungen vor den Folgen einer solchen Lieferung.
Mit seiner Idee, mit «Taurus»-Marschflugkörpern die Ukraine «vor die Lage zu bringen», bringt er das eigene Land und dessen Bevölkerung in eine gefährliche Lage. Ob Deutschland Kriegspartei ist, wird bekanntermaßen nicht in Berlin, sondern in Moskau entschieden.
Auch die bisherige Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte «Taurus» für die Ukraine gefordert, so in einer Diskussionsrunde während der Münchner Sicherheitskonferenz (MSK) im Februar dieses Jahres. Auch sie berief sich auf die «europäischen Partner», mit denen sie sich einig sei, dass die russische «Lieferkette» angegriffen werden müsse, das heißt, Ziele in Russland.
Dass Merz nach der Wahl die «Taurus» an Kiew liefern wird, hatte der CDU-Vize-Fraktionsvorsitzende Johann Wadephul im November 2024 in einem Gespräch mit dem russischen Satiriker-Duo Wladimir Kusnezow und Alexej Stoljarow („Wowan und Lexus“) erklärt. Einer der beiden hatte sich als Andrej Jermak, Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, ausgegeben.
Wadephul gab dabei interne Informationen über die Pläne der Union in Bezug auf die Ukraine nach der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar dieses Jahres weiter. Er bekräftigte die Pläne des CDU-Vorsitzenden, sagte aber, eine «Taurus»-Lieferung an die Ukraine könne frühestens im Mai dieses Jahres realisiert werden.
Hochrangige deutsche Luftwaffenoffiziere hatten im Februar 2024 in einem abgehörten und später öffentlich gewordenen Gespräch über Angriffe mit «Taurus» auf Ziele in Russland beraten. Es ging vor allem um einen möglichen Angriff auf die Krim-Brücke. Dabei wurde deutlich, dass die bundesdeutsche Luftwaffe in jedem Fall an der Zielführung der Marschflugkörper beteiligt wäre.
Russische Politiker hatten bereits mehrfach vor einer solchen Entscheidung gewarnt, die zu einem direkten Krieg zwischen Russland und Deutschland führen könne. «Den Einsatz von Taurus gegen Russland zuzulassen, wäre ein selbstmörderischer Akt», hatte unter anderem Alexej Drobinin, Analytiker im russischen Außenministerium, in einem von den NachDenkSeiten veröffentlichten Interview im Januar dieses Jahres erklärt.
«Aus deutscher Sicht wäre eine kurzfristige Taurus-Lieferung und die damit verbundene Bereitstellung von Soldaten, die das Waffensystem bedienen können, eine klare Kriegsbeteiligung.»
Das hatte Erich Vad, ehemaliger Bundeswehr-General und Berater der Alt-Kanzlerin Angela Merkel (CDU), im März 2024 gegenüber der Berliner Zeitung erklärt. «Mit dem Taurus kann man den Kreml und damit den russischen Regierungssitz zerstören», so der Ex-General.
In seinem Ende 2024 erschienenen Buch «Ernstfall für Deutschland» beschreibt Vad, wie Deutschland von Russland angegriffen wird – als Reaktion darauf, dass die neue Bundesregierung die weitreichenden «Taurus»-Marschflugkörper an Kiew für Angriffe gegen russische Ziele übergeben haben könnte. Ausführlich schildert er, wie der russische Vergeltungsschlag gegen politische und militärische Ziele in Deutschland erfolgen könnte, ebenso die Folgen für das Land und die Menschen.
Zur Frage der Marschflugkörper hatte sich auch der ehemalige Bundeswehr-Generalinspekteur und frühere hochrangige NATO-Offizier Harald Kujat bereits im Februar 2024 in einem Interview mit dem Radiosender Deutschlandfunk (DLF) geäußert. Er sagte dabei, es gehe dabei nicht darum, mit einem Angriff auf die Krim-Brücke die russischen Truppen von ihrem Nachschub abzuschneiden.
Das könne auch mit den britischen und französischen Varianten des Marschflugkörpers erreicht werden, die schon an die Ukraine geliefert und von dieser eingesetzt wurden. Kujat erklärte im DLF, «es geht ausschließlich darum, strategische Ziele in Russland anzugreifen». Dazu gehören neben Militärbasen und Versorgungsknotenpunkten auch Führungszentren Russlands.
Wenn «Taurus» aus Deutschland geliefert und eingesetzt werden, sei das eine «direkte Kriegsbeteiligung», bestätigte Kujat. Er verwies darauf, dass das aufwendige System der Zielfassung und -bekämpfung nur durch «wirkliche Spezialisten» programmiert werden könne – «und das könnten die Ukrainer nicht, das könnten nur deutsche Spezialisten».
«Wären wir an der Planung und Vorbereitung eines konkreten Angriffes auf ein strategisches Ziel in Russland beteiligt, das wäre der Weg, sozusagen der Schritt von der indirekten Kriegsbeteiligung zur direkten Kriegsbeteiligung.»
Die jüngsten Aussagen von Merz führten zu erneuten deutlichen Reaktionen aus Moskau. Die russische Führung warnte Medienberichten zufolge wie schon bei ähnlichen Anlässen früher vor einer neuen Eskalation. Merz unterstütze Maßnahmen, «die zu einer neuen Eskalation führen können und unweigerlich dazu führen werden», sagte demnach Kreml-Sprecher Dmitri Peskow vor Journalisten in Moskau.
Laut RT DE hatte auch der russische Botschafter in Deutschland, Sergej Netschajew, in einem Interview mit der Nachrichtenagentur TASS gewarnt:
«Wir mischen uns nicht in die innerdeutsche Diskussion über eine mögliche Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die ukrainischen Streitkräfte ein. Wir beteiligen uns auch nicht am Wahlkampf. Aber wir sagen ganz klar: Jede feindselige Handlung Berlins gegenüber Russland wird eine Antwort nach sich ziehen - sei es die Stationierung von Taurus-Raketen oder die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen auf deutschem Territorium.»
Berichten nach hat sich auch der bisherige und mutmaßlich im Amt bleibende Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gegen eine «Taurus»-Lieferung ausgesprochen. Bei einer SPD-Konferenz in Hannover sagte er laut der Nachrichtenagentur DPA, für die Lieferung von «Taurus» gebe es zwar «gute Argumente», es gebe aber auch «viele Argumente, gute Argumente dagegen». Nur einen Teil davon könne man öffentlich diskutieren.
Der Sicherheitsexperte und ehemalige Bundeswehr-Oberst Wolfgang Richter widersprach in einem Interview am Montag mit dem Sender n-tv deutlich dem mutmaßlichen nächsten Kanzler. Er erklärte dabei unter anderem, dass das von Merz benannte mögliche Ziel, die Krim-Brücke, entgegen der Behauptung des CDU-Politikers nicht mehr entscheidend für die Nachschublinien der russischen Truppen sei.
Deren Versorgung erfolge vor allem auf dem Landweg aus Südwestrussland, «mit Eisenbahnlinien, mit Straßenverbindungen und eben nicht durch See, das wäre ja ein Umweg». Richter widersprach nicht nur der Lagebeurteilung von Merz, sondern wiederholte auch die sachlichen Argumente gegen eine «Taurus»-Lieferung an Kiew.
Der Marschflugkörper habe eine «sehr massive Durchschlagskraft» sowie mit mehr als 500 Kilometern eine größere Reichweite und eine genauere Präzision als die fast baugleichen britischen «Storm Shadow» und französischen «Scalp». Damit könnten Ziele in der Tiefe Russlands, einschließlich Moskau, angegriffen werden. Der Sicherheitsexperte wies ebenfalls darauf hin, dass mit dem Einsatz des Marschflugkörpers auch «die Frage der Datenübergabe und des Fachpersonals» verbunden sei.
Richter sprach sich gegen die «Taurus»-Lieferung und für Verhandlungen aus, um den Krieg zu beenden und weitere Opfer wie die zivilen durch den jüngsten russischen Raketenangriff in Sumy zu verhindern. Zu den wachsenden Befürchtungen in der deutschen Bevölkerung, dass das eigene Land in den Ukraine-Krieg hineingezogen werden könnte, sagte er:
«Also eine kluge Politik wird darauf achten, dass genau das nicht passiert. Und soweit ich den noch amtierenden Bundeskanzler Scholz verstanden habe, hat er auch versucht, in den letzten Jahren genau dies zu verhindern. Wir dürfen nicht Kriegspartei werden. Wir müssen uns aus diesem Krieg heraushalten.»
Ungeachtet der Warnungen unterstützen Berichten zufolge die Regierungen einiger EU-Länder, darunter Polens und der Niederlande, die deutsche «Taurus»-Pläne. Am 9. Mai wollen demnach Vertreter von 30 Ländern in Kiew im Rahmen der sogenannten «Koalition der Willigen» über das Thema beraten.
Auch Großbritannien signalisiert Unterstützung. Wie die Zeitung The Telegraph am Mittwoch unter Berufung auf Regierungskreise meldete, würde London eine deutsche Entscheidung zur «Taurus»-Lieferung mittragen.
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