Der Carmel-Markt, der Shuk HaCarmel, ist der größte Tel Avivs. Die Zuspitzung der politische Lage macht sich bei den Einwohnern auch hier nicht bemerkbar; Foto: Torsten Engelbrecht
Die gesamtpolitischen Spannungen um Israel herum nehmen deutlich zu. So wird berichtet, die Hisbollah habe gestern Abend «als Reaktion» auf einen vorangegangenen tödlichen israelischen Angriff auf das Dorf Schama im Südlibanon Dutzende von Katjuscha-Raketen auf Israel abgefeuert.
Der oberste Führer des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, hat gar einen «Angriff auf Israel angeordnet», wie die New York Times schreibt. Hintergrund ist die Tötung von Hamas-Chef Ismail Hanija in der Nacht auf Mittwoch in Teheran. Die Hamas macht Israel dafür verantwortlich.
Abdul Malik al-Huthi, Anführer der jemenitischen Huthi-Miliz, springt dem Iran bei und hat Israel wegen der Ermordungen Hanijas erneut gedroht. Es müsse eine «militärische Antwort auf die Ermordung des hochrangigen Kommandeurs Fuad Schukr bei einem israelischen Angriff geben, die schamlos und gefährlich sind und eine große Eskalation durch den israelischen Feind darstellen».
Derweil hat die Lufthansa Group, zu der Austrian Airlines und Brussels Airlines gehören, verlautbart, dass sie aufgrund der verschärften Spannungen in Nahost nach den israelischen Bombenanschlägen im Libanon und im Iran Israel mindestens bis zum 8. August Israel nicht mehr anfliegen werde. Auch US-Fluggesellschaften haben Medienberichten zufolge die Streichung der Flüge von und nach Israel angekündigt.
Und das Leben der Menschen in Israel? Es scheint unbeirrt weiterzugehen. Ganze zwei Helikopter habe ich seit meiner Ankunft vor drei Tagen den Himmel durchziehen sehen. Und auch am Straßenbild ist nicht zu erkennen, dass sich die Sicherheitslage in irgendeiner Weise verschärft hätte.
So gibt es keine patroullierenden Polizisten oder Soldaten und auch nicht vermehrt umherfahrende Einsatzwagen. Das einzige, was mir auffiel, waren zwei Männer, beide in Badehose und ausgeleiertem T-Shirt. Dem einen hing eine Maschinenpistole über der Schulter, beim anderen steckte eine Pistole im Hüftsaum seiner Hose.
Selbst an einem Ort wie dem dem Carmel-Markt, auf Hebräisch Shuk HaCarmel, dem größten Markt Tel Avivs, herrscht eine Atmsophäre, wie sie in Reisführern beschrieben wird. Auf Tourist Israel zum Beispiel heißt es, es handele sich um «einen lebendigen Marktplatz, auf dem Händler alles von Kleidung und Gewürzen bis hin zu Obst und Elektronik verkaufen» (siehe Foto oben).
Auf dem Markt komme ich an einem Souvenierstand, auf dem allerlei Touristenkitsch feilgeboten wird, zufälligerweise kurz zum Stehen. Zum Angebot gehören unzählige Magneten, Handyhüllen, die mit wohlfeilen Sprüchen wie «FCK HMS» versehen sind (siehe Foto unten), oder auch Schnapsgläser, die das Aussehen eines Models mit ausgeprägten Kurven und einem Bikini haben, der mit der Flagge Israels sowie dem Spruch «I ❤️ Israel» bedruckt ist.
Auch Handyhüllen werden auf dem Carmel-Markt angeboten; Foto: Torsten Engelbrecht
Refael, der Sohn der Standbesitzerin, spricht mich in sehr freundlicher Manier an. Ob ich etwas kaufen wolle, fragt er mich. Ich antworte, dass ich noch überlege. Dann frage ich ihn, wie er die momentan sich offenkundig zuspitzende Lage einschätzt und ob er das Vorgehen der israelischen Regierung als zielführend empfinde in dem Sinne, dass sich das Blatt in Richtung Frieden zu drehen vermag.
Ohne zu zögern, beantwortet er meine Frage mit einem Ja. Israel müsse Stärke zeigen, dazu gebe es keine Alternative. Nur so könne sich Israel behaupten und seine Existenz sichern. Die Angriffe der Feinde Israels würden nicht aufhören. Daher sei insbesondere auch militärische Stärke gefragt.
Wie gut das aus seiner Sicht funktioniere, habe sich im April gezeigt:
«Der Iran ist Israel schon seit Jahrzehnten feindlich gesinnt. Im April erfolgte der vielleicht heftigste Angriff auf unser Land. Dabei wurden Hunderte von Raketen und Drohnen abgefeuert, und zwar als Vergeltung für einen israelischen Angriff auf das iranische Botschaftsgelände im syrischen Damaskus, bei dem mehrere iranische Militärkommandeure getötet wurden.
Doch der Angriff verpuffte letztlich. Denn fast alles, was der Iran in Richtung Israel abschoss, wurde von unseren Militärs eliminiert und es entstand kaum Schaden.»
Daher würden ihn auch die neuesten Drohungen aus dem Iran nicht beunruhigen. Sein Rat an mich: «Halte dich von den Medien fern. Die erzeugen mir ihren reißerischen Schlagzeilen, Übertreibungen und Falschberichten nur Unruhe in dir.»
Da muss ich innerlich schmunzeln, spontan denke ich an die Corona-Berichterstattung, an die über die Schweingegrippe, HIV/AIDS oder auch 9/11. In Bezug auf diesen Punkt kann ich ihm also nur folgen.
Bei seiner Ansicht darüber, was politisch angezeigt wäre, um Frieden zu ermöglichen, melden sich bei mir hingegen ernste Zweifel an. Nicht kamen im April zwar keine Menschen uns Leben. Aber offenbar gelang es dem Iran, ein paar Ziele zu treffen, die er treffen wollte.
TransitionTV etwa berichtete, dass laut Ex-CIA-Mitarbeiter Johnson der Iran im April die erste Welle von Drohnen «als blosse Spielfiguren in einem ausgeklügelten militärischen Schachspiel» gestartet habe. Gemäß Transition News habe man im Iran fest damit gerechnet, dass die Drohnen abgeschossen werden würden. Diese erste Angriffswelle habe dem Iran wichtige Informationen geliefert über die Aufstellung und die Fähigkeiten des israelischen Iron-Dome-Systems.
Die nächste Welle aus Marschflugkörpern sei nur wenige Minuten nach den Drohnen eingetroffen und habe den iranischen Analytikern zusätzliche Informationen über Israels Luftabwehrsystem geliefert.
Auch schreibt die Welt heute, dass die «harte Bestrafung», die Irans oberster Führer Ajatollah Ali Chamenei als Reaktion auf den Tod des Hamas-Auslandschefs Ismail Hanija in Teheran angekündigt hat, «zum wohl größten Belastungstest für Israels Raketenabwehr werden könnte, zumal die Feinde Israels ihre Technik und Taktik verfeinert haben».
Im Übrigen ist es so: Rein realpolitisch und für den Moment betrachtet mag militärische Stärke hilfreich sein, um sich schützen zu können. Doch wenn man dabei stehen bleibt und eben jene Politik fortführt, die man seit Jahrzehnten betreibt und die die Schrecken regelrecht «perpetuiert» hat, wird sich logischerweise kaum etwas zum Besseren wenden können.
Nach meinem Besuch des Carmel-Marktes mache ich mich auf den Weg zum sogenannten «Hostage Square», auf Deutsch «Geiselplatz». Er befindet sich vor dem Museum of Art von Tel Aviv und in der Nähe des Hauptquartiers der Israelischen Verteidigungskräfte – und dort treffen sich regelmäßig die Familien der bei dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 entführten Geiseln, um ihrem sehnlichsten Wunsch nach der Freilassung der Geiseln Ausdruck zu verleihen.
Unterwegs komme ich an einem Stand vorbei, der mir ob seiner spartanischen Anmutung sogleich sehr positiv ins Auge fällt (siehe Foto unten). Mitten im Herzen einer der teuersten Städte der Welt gelegen, bildet er nicht nur ein absolutes Kontrastprogramm.
Auch steht vorne eine manuell zu bediendende Orangensaftpresse, die auf einer einfachen Holzkonstruktion thront. Um sie herum – sowie hinten im kleinen Ladengeschäft – leuchten bunte Früchte und frisches Gemüse.
David, einer von drei Brüdern, die den Shop betreiben, bitte ich um einen frisch gepressten O-Saft. Ich mache ihn darauf aufmerksam, dass mir seine nicht-elektronische Saftpresse sehr gefällt, woraufhin er meint, dass man damit viel besseren Saft machen könne, unter anderem deswegen, weil dadurch die Bitterstoffe aus der Schale nicht herausgelöst werden.
Die Art und Weise, wie David den Saft auspresst, und der gesamte Stand scheinen einer anderen Welt entsprungen zu sein. Davids Ansichten über die Politik sind ebenso «alternativ».
Ein kleiner Obst- und Gemüsestand mit manueller O-Saftpresse an einem Gehweg inmitten der Innenstadt von Tel Aviv; Foto: Torsten Engelbrecht
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu ist für ihn ein «Diktator, der bewusst Idioten um sich geschart hat, um seine Macht abzusichern». Das, was an Gräueltaten und Schrecklichem passiere, ereigne sich schon seit geraumer Zeit. Die Politik hat aus seiner Sicht nachweislich kläglich versagt.
Er sagt dies ohne den Hauch von Zorn in der Stimme, sondern mit einer ehrlich rüberkommenden Freundlichkeit, die sein Bedauern über die Lage aber nicht verhehlt. Als ich ihn frage, worin er die Lösung sieht, hält er für einen kurzen Moment inne. Schließlich antwortet er:
«Wer protestieren möchte, soll dies gerne tun. Ob es etwas bringt, ist allerdings sehr fraglich. Die Realität zeigt doch, dass es die Regierenden nicht die Bohne interessiert.
Die Liebe – die ist es, worauf es am Ende ankommt, wenn es darum geht, die Problem zu lösen. Ich versuche, die Liebe in meinem persönlichen Umfeld zu leben.»
Nach der Art zu urteilen, wie er mir gegenüber auftritt, wirkt David auf mich sehr glaubwürdig ...
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Hier die ersten sechs Teile der Berichte von meiner siebentägigen Reise nach Israel:
Sieben Tage Israel – Tag eins: «Dass noch so viele israelische Geiseln von der Hamas gefangen gehalten werden, ist unerträglich»
Sieben Tage Israel – Tag zwei: «Wer mit dem Finger auf die Regierung Israels zeigt, sollte sich mal die Weltpolitik vergegenwärtigen»
Sieben Tage Israel – Tag vier: «Ich bin nicht zuversichtlich, aber hoffnungsvoll, dass die Hamas-Geiseln bald frei sein werden»
Sieben Tage Israel – Tag fünf: «Die Dinge werden sich bald zum Besseren wenden – das sehe ich mit meinem inneren Auge»
Sieben Tage Israel – Tag sechs: Die heilige Stadt Jerusalem – Faszination und Sinnbild der globalen Zerwürfnisse in einem
Sieben Tage Israel – Abreise: «Danke, dass du aus Deutschland hierher zu Besuch gekommen bist»
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