Zugegeben. Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, sich in einem Land aufzuhalten, dem eine iranische Vergeltungsmaßnahme, von der niemand weiß, wie heftig sie ausfallen wird und wie gut Israel sie «neutralisieren» kann, unmittelbar bevorstehen soll.
Klar, so denke ich mir, Israel lebt im Grunde schon seit geraumer Zeit mit einer solchen Gefahrenlage, auch wenn sie sich jetzt mal wieder merklich zuzuspitzen scheint. Allerdings wird die Lage aktuell, wie mir die deutsche Botschaft in Tel Aviv heute Vormittag am Telefon sagte, als so stabil eingeschätzt, dass noch keine Extra-Überführung von Deutschen nach Deutschland konkret geplant sei.
Auch ist Israel selbst unglaublich sicher. Trotz des Krieges schneidet Tel Aviv in puncto Sicherheit besser ab als viele, viele andere Städte, bei denen niemand auf die Idee käme, darüber nachzudenken, sie wegen Sicherheitsbedenken nicht zu besuchen.
So sind laut dem Kriminalitätsindex 2024 von Numbeo nur 41 von insgesamt 311 Städten mit mindestens 300.000 Einwohnern auf der Erde sicherer als Tel Aviv. Die Mittelmeermetropole liegt sogar vor Städten wie Basel, Madrid, Lissabon, Wien, Oslo, Sydney, Florenz, Leipzig, Köln oder auch meiner Heimatstadt Hamburg, die nur Rang 144 belegt. Der Touristenmagnet New York liegt gar nur auf Platz 196, Barcelona auf Position 201, London auf 225.
Und eines kommt in Tel Aviv gar nicht auf: Die Sorge, abends auf dem Weg vom Restaurant zu seiner Unterkunft überfallen zu werden. Dieses Gefühl begleitet hingegen ganz besonders diejenigen ständig, die in beliebten Reisezielen wie Mexiko City oder Kapstadt unterwegs sind – und es ist ein Gefühl, das den Urlaubsgenuss erheblich trüben kann, auch wenn die Strände oder Sehenswürdigkeiten noch so schön sind.
Mit diesen Gedanken mache ich mich auf zum Toten Meer, dessen nordwestlichster Punkt, Kalia Beach, rund 100 km entfernt von Tel Aviv liegt. Neben der Freundlichkeit vieler Menschen in Israel ist es eines der Hauptattraktionen des Landes. Sein Salzgehalt liegt bei knapp 30 Prozent, da es keinen Abfluss gibt und große Wassermengen natürlich verdunsten. Zum Vergleich: Das Mittelmeer hat einen Salzgehalt von rund drei Prozent.
Auch stellt es den am tiefsten begehbaren Punkt der Erde dar, den man ohne graben zu müssen erreichen kann. Sein Wasserspiegel liegt mittlerweile 430 Meter unter dem Meeresspiegel.
Eingang zum Kalia Strand, der am nordwestlichen Ende des Toten Meeres liegt; Foto: Torsten Engelbrecht
Ich fahre los mit dem Auto gegen 11 Uhr morgens. Die Angst vor einer Bombenattacke der iranischen Machthaber oder auch der Hizbollah aus dem nördlich an Israel angrenzenden Libanon liegt nicht in der Luft.
Der Herr bei der Autovermietung strahlt eine freundliche Gelassenheit aus und wünscht mir nichts anderes als eine gute Fahrt und viel Spaß am Toten Meer. Wie an jedem anderen Tag, so drängeln sich auch heute zahlreiche Autos durch die Straßen Tel Avivs. Und auch auf der Autobahn herrscht reger Verkehr.
Gehupt wird dabei übrigens sehr selten, auch wenn es mal drängelig wird. Und – was für ein Genuss, wenn ich an Deutschland denke – Baustellen gibt es in Tel Aviv selbst so gut wie keine, auf dem Weg zum Toten Meer sogar null!
Beim Toten Meer angekommen, weht einem der Charme früherer Zeiten entgegen. Die Holzbauten, aus denen das Kalia Beach Resort gebaut ist, wirken wie aus den 1980ern oder gar 1970ern. Das gleiche gilt für die zahlreichen Sonnenschirme, die unübersehbar schon so einige Jahre auf dem Buckel haben und auf denen groß die Logos bekannter Getränkemarken prangen.
Nicht nur Nostalgiker, sondern auch diejenigen, die es einsam mögen, sind hier genau richtig. Derzeit jedenfalls. Denn der niedrigste Ort der Erde, der als einer der meistbesuchten Attraktionen Israels beschrieben wird, erweckt den Eindruck, als hätte er die so ziemlich niedrigste Besucherzahl weltweit.
Auf dem Besucherparkplatz stehen nur wenige Autos. Und der kleine Vergnügungspark «Dates Land», der direkt neben dem Kalia Beach Resort gelegen ist und der unter anderem mit einer größeren Wasserrutsche aufwartet, ist nicht in Betrieb. Dabei ist der Himmel strahlend blau und wolkenfrei und es herrschen Temperaturen um die 36 Grad.
Nachdem ich den Eingang des Kalia Beach Resort passiert habe, mache ich mich auf den vielleicht 150 Meter langen Weg hinunter zum Strand und komme an der «Lowest Bar in the World» – der mit 420 Meter unter dem Meeresspiegel gelegenen niedristen Bar auf der Welt – vorbei. Sie bietet Sitzmöglichkeiten für gerne 70 Leute, doch nur ganze drei Besucher haben sich in sie verirrt.
Später, auf meinem Rückweg, ist das Restaurant zunächst sogar leer. Nach rund 30 Minuten, kurz bevor ich meinen Smoothy ausgetrunken habe, lassen sich eine Mutter mit einem Kind an einem Tisch nieder und essen je ein Eis.
Die niedrigste Bar der Welt, mehr als 400 Meter unter dem Meeresspiegel gelegen, erweckt derzeit auch den Eindruck von der Bar mit der niedrigsten Besucherzahl auf der Erde (zum Anschauen des Videos, auf das Bild klicken); Video: Torsten Engelbrecht
Das Tote Meer selbst hält, was die Reiseprospekte darüber versprechen. Das Wasser, umgeben von einer Wüstenlandschaft bestehend aus Felsen und eher grobkörnigem Sand, steht praktisch still und hat an seiner glänzenden Oberfläche eine Temperatur von bestimmt 37 Grad. Wenn man mit seinen Armen etwas tiefer ins Wasser taucht, spürt man eine leichte Abkühlung.
Strandabschnitt vom Kalia Beach Resort am nordwestlichen Ende des Toten Meeres; Video: Torsten Engelbrecht
Und das Wasser trägt einen tatsächlich fast so, als würde man auf einer Luftmatratze liegen. Menschen, die im Toten Meer liegend eine Zeitung lesen, wie sie angeblich oft gesehen worden sind, konnte ich allerdings weit und breit nicht ausmachen.
Quelle: Wikimedia Commons
Doch wozu auch den Kopf anheben, dabei eine Nackensteife riskieren und sich gedanklich Medienschlagzeilen antun, die einem nur Bange machen wollen, wenn man sich einfach mal in entspannter Manier treiben lassen und dabei in aller Seelenruhe in einen strahlend blauen Himmel schauen kann? Realitätsflucht in positivem Sinne, das kann man hier in perfekter Art betreiben.
Dabei sollte man nur aufpassen, dass man kein Wasser in die Augen bekommt. Denn das brennt in Anbetracht des sehr hohen Salzgehaltes des Toten Meeres ganz besonders stark. Kleine Süßwassersprenkelanlagen, mit denen man sich die Augen spülen kann, stehen allerdings am Steg, der vom Ufer aus leicht ins Wasser hineinragt, bereit.
Die nützen derweil nichts, wenn man das Wasser schlucken sollte. Da würde dann nur Hinauswürgen helfen. Denn das Wasser des Toten Meers gilt als so giftig, dass es heißt, Menschen könnten schon nach wenigen Schlucken davon sterben. Ich habe daher penibel darauf geachtet, den Mund geschlossen zu halten.
Am Strand komme ich mit einer jungen Israelin ins Gespräch. Sie heißt Yuval und ist 22 Jahre jung. Wie sie mir erzählt, hat sie gerade erst ihren zweijährigen Militärdienst abgeschlossen und reist ein wenig mit ihren drei Freundinnen umher, mit denen sie beim Militär war.
Sie stammt aus dem Kibbuz Kfar Szold, der in den frühen 1940er Jahren von jüdischen Einwanderern aus Ungarn, Österreich und Deutschland gegründet worden war und im Jahr 2022 etwas mehr als 700 Einwohner zählte. Wie Yuval sagt, sei ihr Kibbuz, der nur 50 Kilometer von der Grenze Libanons entfernt liegt, mittlerweile der nördlichste Punkt in Israel, der nicht evakuiert worden sei. Yuval:
«Aufgrund der Angriffe und drohenden Gefahren aus dem Libanon mussten zahlreiche Menschen auf Geheiß der Regierung die Gebiete nördlich von uns verlassen. Zum Glück kann ich in meiner Siedlung noch leben, denn ich liebe es dort, wo ich auch aufgewachsen bin. Auch wenn es derzeit die vielleicht gefährlichste Gegend ist, in der man in Israel leben kann, und ich auch schon viel mitbekommen habe an Bombeneinschlägen um unseren Kibbuz herum.»
Wie sie die momentane politische Lage einschätzt und wie sie diese tangiert, frage ich sie. Und sie antwortet mit Zuversicht in den Augen und einem Lächeln auf dem Mund:
«Wir leben leider schon sehr lange in diesem kriegsähnlichen Zustand. Ich bedauere dies sehr, denn ich denke, es bestünde die Möglichkeit, dass wir alle zusammen in Frieden leben.
Auch wenn die Situation festgefahren oder gar ausweglos erscheinen mag, so bin ich der festen Überzeugung, dass sich die Dinge zum Besseren wenden werden. Natürlich weiß ich nicht, wann genau dies geschehen wird. Aber es wird bald geschehen. Das sehe ich mit meinem inneren Auge, das stets das Positive in den Dingen zu sehen versucht.»
Diese Begegnung hat mir erneut gezeigt, wie sehr es sich gelohnt hat, dass ich mich auf den Weg gemacht habe nach Israel, sogar in dieser sehr unruhigen Zeit – und dass Leute wie der israelische Finanzminister Bezalel Joel Smotrich bei weitem nicht für ganz Israel stehen.
So hat dieser aktuell allen Ernstes auf einer Konferenz die Äußerung getätigt, die humanitäre Hilfe für den Gazastreifen zu blockieren, möge «gerechtfertigt und moralisch sein, bis unsere Geiseln zurückgebracht werden», auch wenn dadurch zwei Millionen Zivilisten verhungern würden.
Smotrich griff dabei auch israelische Demonstranten an, die die Regierung zu einem Geiselabkommen drängten, und nannte sie «unverantwortliche Leute, die monatelang die israelische Position geschwächt und die Regierung, ihren Führer und die Armee mit rücksichtslosen Demonstrationen angegriffen haben, [indem sie sagten] ‹jetzt› und ‹um jeden Preis›» (siehe dazu auch mein Interview mit Daniel Shrek von der Organisation Hostages and Missing Families Forum: Sieben Tage Israel – Tag vier: «Ich bin nicht zuversichtlich, aber hoffnungsvoll, dass die Hamas-Geiseln bald frei sein werden»).
Smotrichs Äußerungen folgen auf ähnliche Verlautbarungen im April, als er die «totale Vernichtung» der Gazastädte Rafah, Deir al-Balah und Nuseirat forderte.
Ein Besuch des Toten Meeres lohnt derweil auch deswegen, weil das Meer am Schwinden begriffen ist. Auf Travelbook etwa heißt es dazu:
«Seit Jahren ist der Wasserspiegel des Toten Meers rückläufig. Die Auswirkungen kann jeder Besucher sehen: Die Wege von den Parkplätzen zum Toten Meer werden immer länger; Hotels, die früher direkt am Wasser waren, sind mittlerweile gute hundert Meter von der Küste entfernt. An vielen Badestellen sieht man an den Ufern deutlich die freigelegten Schichten der letzten Jahrzehnte.
Sollte das Wasser in gleichem Maße wie bisher zurückgehen, rechnen Umweltwissenschaftler sogar damit, dass das Tote Meer in gut 300 Jahren ausgetrocknet ist.»
Wikipedia zufolge schrumpft das Tote Meer seit den 1960er Jahren rapide, da Israel im Rahmen des 1964 fertig gestellten National Water Carrier Plans Wasser aus dem Jordan im Norden ableitet.
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Hier die weiteren sechs Teile der Berichte von meiner siebentägigen Reise nach Israel:
Sieben Tage Israel – Tag eins: «Dass noch so viele israelische Geiseln von der Hamas gefangen gehalten werden, ist unerträglich»
Sieben Tage Israel – Tag zwei: «Wer mit dem Finger auf die Regierung Israels zeigt, sollte sich mal die Weltpolitik vergegenwärtigen»
Sieben Tage Israel – Tag drei: «Die Probleme können nur durch eines gelöst werden – durch Liebe!»
Sieben Tage Israel – Tag vier: «Ich bin nicht zuversichtlich, aber hoffnungsvoll, dass die Hamas-Geiseln bald frei sein werden»
Sieben Tage Israel – Tag sechs: Die heilige Stadt Jerusalem – Faszination und Sinnbild der globalen Zerwürfnisse in einem
Sieben Tage Israel – Abreise: «Danke, dass du aus Deutschland hierher zu Besuch gekommen bist»
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