Sollte es möglich sein, in ein Land zu reisen, das sich politisch in einer äußerst prekären Lage befindet und dessen Regierung vorgeworfen wird, einen Völkermord zu begehen? Ich denke, ja.
So sollte man in Bezug auf jedes Land zwischen Regierungshandeln einerseits und der Bevölkerung und seinem Land andererseits unterscheiden können. Tut man dies nicht, so dürfte man auch nicht in die USA, die die Welt seit geraumer Zeit mit den hässlichsten Kriegen überzieht, und überhaupt in keines der westlichen Länder, die mit ihrer Wirtschaftspolitik die Welt ausbeuten und damit für unendlich viel Elend inklusive zigtausenden Hungertoten täglich verantwortlich zeichnen, mehr reisen dürfen.
Es geht auch nicht darum, irgendeine Politik zu rechtfertigen. Im Gegenteil. Alles, was auf Transition News an Kritik an der Politik Israels erschienen ist, hat natürlich weiterhin Bestand. Transition News macht aber hinreichend auf das unendliche Elend auf dieser Welt aufmerksam. Diese kleine Serie an Berichten über Israel soll dazu dienen, ein paar Menschen selbst zu Wort kommen zu lassen und den Blick auch auf das Schöne innerhalb des so vieles überlagernden Wahnsinns zu richten.
Am ersten Tag nach meiner Ankunft habe ich mich in Richtung der Strände von Tel Aviv begeben. Und in der Tat halten sie, was über sie in den Werbeprospekten versprochen wird. Sie sind ausgedehnt und mit hellem Sand gesegnet. Das Wasser ist derzeit tropisch warm und erlaubt es auch kälteempfindlicheren Naturen, sich stundenlang in den Wellen zu wiegen, ohne dass auch nur im Ansatz ein Kälteempfinden aufkäme.
Stadtstrand von Tel Aviv um die Mittagszeit ...
... und bei Sonnenuntergang. Zum Start des Videos auf das Bild mit der untergehenden Sonne klicken; Foto und Video: Torsten Engelbrecht
Allerdings fällt sogleich auf, dass es nicht mehr so ist, wie es zum Beispiel im Jahre 2022 auf Israel21c hieß: dass man «am Strand von Tel Aviv Einheimische und Touristen gleichermaßen findet, die tagsüber das herrlich blaue Wasser genießen und sich abends in den nahe gelegenen Clubs und Bars vergnügen».
Menschen, die man als Touristen ausmachen könnte, sind weit und breit nicht zu erkennen. Dass die ausländischen Gäste fernbleiben, bestätigt mir auch Samuel, der als Bedienung in einer der vielen Strandbars arbeitet.
Wie er die ganze Krisensituation empfindet, frage ich den 30-Jährigen. Und er antwortet:
«Im Grunde hat sich nicht viel geändert. Wir sind es gewohnt, mit Leuten zu leben, die nicht mit uns leben wollen.»
Tess, eine Holländerin mit jüdischen Wurzeln, bekommt das Gespräch mit. Sie kam kurz vor den Hamas-Anschlägen des 7. Oktobers 2023 nach Israel, um ihre Familie zu besuchen. Sie meint:
«Am Anfang, direkt nach den Anschlägen der Hamas, war es schon extrem. Man fühlte eine große Unsicherheit und hatte die Befürchtung, dass da noch mehr an Grausamkeiten kommt. Doch mit der Zeit hat man versucht, auch damit klar zu kommen.»
Ich möchte von den beiden wissen, ob sie eine Idee für eine Lösung hätten. Daraufhin sagt Tess:
«Doch wie soll man eine Lösung finden mit Leuten, die einen einfach nur töten wollen. Eine friedliche Koexistenz wäre natürlich absolut wünschenswert. Und natürlich gibt es die Forderungen nach Friedensverhandlungen. Doch wer mit dem Finger auf die Regierung Israels zeigt, sollte sich mal die Weltpolitik vergegenwärtigen!
Welches große Problem, welcher Konflikt wird dort durch Verhandlungen wirklich gelöst? Schauen wir etwa auf die Spannungen zwischen Ost und West, da sind wir dabei, wieder in schlimmste Zeiten zurückzufallen»
Tess bezieht sich dabei auf die Zeit der Entspannungspolitik, deren Höhepunkt die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) war. In der KSZE-Schlussakte von Helsinki 1975 verpflichteten sich die Staaten, die Grenzen anderer Staaten zu achten und Streitfälle friedlich zu lösen. Außerdem versprachen sie, die Menschenrechte zu wahren und sich nicht in die Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen.
Davon ist man nicht nur in Israel meilenweit entfernt, auch bewegt man sich davon auf weltweiter Ebene, bei der die Zeichen zunehmend wieder auf Aufrüstung statt Abrüstung stehen, immer weiter weg.
In Tess’ Worten steckt für mich zudem Resignation, das Gefühl, dass die Fronten zwischen Juden und Palästinensern extrem verhärtet sind.
Nach einem Moment der Stille frage ich die beiden, ob sie meine Heimat Deutschland kennen würden. Da leuchten Samuels Augen ein wenig auf, und er erzählt davon, dass er am 2. August in München beim Konzert des britische Pop-Megastars Adele sein werde.
Zu Deutschland habe er im Übrigen eine besondere Beziehung, da seine mittlerweile leider verstorbene Großmutter von dort stamme.
«Sie musste während der Nazizeit vor Hitlers Schergen fliehen und lebte dadurch sogar eine Zeit lang wild mitten im Schwarzwald», so Samuel. «Und trotz dieser traumatischen Erlebnisse hat sie mir auch immer wieder von dem Guten, das in ihren Erinnerungen an Deutschland geblieben ist, berichtet.»
In der Beachbar läuft unüberhörbar lässige Housemusik, und zwei mannshohe Lüfter sorgen für eine merklich frische Brise. Auf dem Sand vor der Bar stehen zahlreiche Tische, die gesäumt sind von Sofas und Sesseln mit Gestellen aus Bambusrohren und weißen Polsterkissen.
Auf einem Tisch eines nicht mehr von Gästen besetzten Sitzensembles stehen noch die nicht abgeräumten Teller mit Nudeln und Brot. Mehrere Vögel machen sich mit Verve über die Essensreste her. Verscheucht werden sie aber minutenlang von niemandem – in Deutschland undenkbar. Und als Samuel die Dinge schließlich abräumt, wedelt er nur kurz mit der Speisekarte, ohne dass eine Aggression gegenüber den Vögeln daraus zu erkennen wäre.
Auch heißt es auf Schildern, die zahlreich am Saum des Strandes aufgestellt sind, «Schwimmen verboten». Und auch wird regelmäßig über ebenfalls am Strand stehende Lautsprecher davor gewarnt, man solle nicht baden gehen. Warum aber diese Verbotsaufrufe? Das erschließt sich mir nicht wirklich, zumal das Wasser nicht übermäßig wild wirkt.
Fakt ist aber, dass sich niemand daran hält. Einmal, am späteren Nachmittag, kamen zwar zwei Lifegaurds und haben die Badenden aus dem Meer beordert. Doch als sie nach etwa 20 Minuten wieder weg waren, waren alle Badewilligen wieder im Wasser.
Das lässt erahnen, wie lässig, ja paradiesisch das Leben hier sein könnte, würde die «hohe Politik» ihre überfälligen Hausaufgaben machen. Die Schönheit dessen, was möglich wäre, kommt auch in der Abenddämmerung am Strand zum Ausdruck. Über insgesamt 14 km zieht er sich von Norden nach Süden und ist nach Westen ausgerichtet, was den perfekten Blick auf die untergehende Sonne ermöglicht.
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Hier die ersten sechs Teile der Berichte von meiner siebentägigen Reise nach Israel:
Sieben Tage Israel – Tag eins: «Dass noch so viele israelische Geiseln von der Hamas gefangen gehalten werden, ist unerträglich»
Sieben Tage Israel – Tag drei: «Die Probleme können nur durch eines gelöst werden – durch Liebe!»
Sieben Tage Israel – Tag vier: «Ich bin nicht zuversichtlich, aber hoffnungsvoll, dass die Hamas-Geiseln bald frei sein werden»
Sieben Tage Israel – Tag fünf: «Die Dinge werden sich bald zum Besseren wenden – das sehe ich mit meinem inneren Auge»
Sieben Tage Israel – Tag sechs: Die heilige Stadt Jerusalem – Faszination und Sinnbild der globalen Zerwürfnisse in einem
Sieben Tage Israel – Abreise: «Danke, dass du aus Deutschland hierher zu Besuch gekommen bist»
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