Aufgrund von Korruptionsvorwürfen, speziell im Fall Pfizergate, musste sich EU-Chefin Ursula von der Leyen am Donnerstag im Parlament einem Misstrauensvotum stellen, das sie – wie erwartet – problemlos überstanden hat (wir berichteten hier, hier und hier). Deshalb entbehrt es nicht der Komik, dass von der Leyens Kommission Spanien jetzt «mangelnden Ehrgeiz» bei der Korruptionsbekämpfung vorwirft.
In ihrem Bericht über den Stand der Rechtsstaatlichkeit in den 27 Mitgliedstaaten, der in spanischen Medien zum Thema gemacht wurde, erinnert die EU-Kommission Pedro Sánchez und seine Minister daran, dass der Plan zur Korruptionsbekämpfung bereits im September 2024 hätte gestartet werden müssen. Zudem mangele es an einer «einheitlichen Strategie».
Auf den 20 Seiten, die Spanien gewidmet sind, weist Brüssel zwar nicht auf systemische Risiken für den Rechtsstaat hin, warnt aber, dass wichtige Maßnahmen in Bereichen wie Justiz, Korruptionsbekämpfung, Transparenz und Medien noch ausstehen würden. Dazu zählt die Reform des Systems zur Wahl der Mitglieder des Allgemeinen Rates der Justiz (CGPJ), die Brüssel seit Jahren als Fortsetzung der Erneuerung des Richtergremiums fordert.
Insgesamt stellt der Bericht «einige Fortschritte» bei der Umsetzung der letztjährigen Empfehlungen zur Verkürzung der Ermittlungs- und Strafverfolgungszeit in Korruptionsfällen auf höchster Ebene fest, beispielsweise bei der Reform der Strafprozessordnung und der Zuweisung zusätzlicher Ressourcen. In dem Bericht wird aber auch betont, dass Korruptionsfälle aufgrund ihrer zunehmenden Komplexität länger dauern. Deshalb habe die EU-Kommission Schritte unternommen, um die Ressourcen für ihre Bearbeitung zu stärken.
Auch eine in diesem Monat durchgeführte Eurobarometer-Umfrage wird in dem Bericht zitiert. Demnach glauben 40 Prozent der befragten spanischen Unternehmen und 25 Prozent der europäischen, dass Korruption sie «in den letzten drei Jahren daran gehindert hat, eine öffentliche Ausschreibung oder einen öffentlichen Auftrag zu gewinnen». 2024 waren nur 21 Prozent der Umfrageteilnehmer dieser Meinung. Die Lage hat sich also extrem verschlechtert. Die Hauptbeschwerden, so ist in dem Bericht zu lesen, seien «mutmaßliche Unregelmäßigkeiten bei der Auftragsvergabe» gefolgt von «angeblich korrupten Praktiken und Beschwerden im Zusammenhang mit der Auftragsausführung».
Brüssel kritisiert insbesondere, dass Spanien nicht mit der Arbeit an einer nationalen Korruptionsbekämpfungsstrategie begonnen habe, die ursprünglich für 2024 geplant gewesen sei. Von der Leyens Kommission behauptet allerdings, dass das Land einige Fortschritte bei der Bekämpfung von Korruption auf höchster Ebene gemacht habe, indem es die Dauer dieser Untersuchungen verkürzt habe.
Gleichzeitig wird jedoch darauf hingewiesen, dass «das öffentliche Auftragswesen, die Finanzierung politischer Parteien, Infrastrukturprojekte und öffentliche Dienstleistungsaufträge Schlüsselbereiche mit hohem Korruptionsrisiko sind». Deshalb werden «verstärkte Anstrengungen» zur Bewältigung der Herausforderungen im Zusammenhang mit der Dauer der Ermittlungen und der Strafverfolgung gefordert, «um die Effizienz bei der Bearbeitung von Korruptionsfällen auf höchster Ebene zu erhöhen, einschließlich der Vollendung der Reform der Strafprozessordnung».
Eine weitere Empfehlung an Spanien lautet, «den Gesetzgebungsprozess voranzutreiben, um die Vorschriften über Interessenkonflikte und Vermögenserklärungen von Personen mit hohen Exekutivfunktionen zu verschärfen, einschließlich der weiteren Stärkung der Unabhängigkeit und der Sanktionsbefugnis des Amtes für Interessenkonflikte».
Dass die spanische Regierung unter Pedro Sánchez wenig «Ehrgeiz» zeigt, Korruptionsfälle auf höchster Ebene zu bekämpfen, mag daran liegen, dass der Ministerpräsident selbst im Fokus der Korruptionsermittler steht. Sánchez’ engster Familienkreis – seine Ehefrau, sein Bruder oder sein Schwiegervater – ist bereits in diverse Fälle verstrickt und sitzt auf der Anklagebank (wir berichteten hier, hier und hier). Insgesamt stehen fast seine gesamte Regierungsriege sowie PSOE-Politiker in ganz Spanien unter Verdacht.
Die Sondereinheit der Guardia Civil, UCO (Unidad Central Operativa), die sich um organisiertes Verbrechen kümmert, hat dem Obersten Gerichtshof in Madrid in den letzten Monaten unzählige Beweise vorgelegt, die auf ein ausgefeiltes Korruptionsnetzwerk der Sozialisten hindeuten. Auch kursieren Informationen, dass sich dieses Netzwerk auf zahlreiche andere Länder erstreckt – und dass es deutliche Hinweise darauf gibt, dass Sánchez der Kopf dieser vermeintlich kriminellen Organisation ist. Zu den Ländern, die von der UCO mit diesen Machenschaften in Verbindung gebracht werden, gehören zum Beispiel Venezuela, die Dominikanische Republik, Äquatorialguinea, Marokko, Kolumbien, Mexiko oder Portugal.
Bereits letzte Woche wurde die «rechte Hand» des Regierungschefs, der Organisationssekretär der PSOE, Santos Cerdán, direkt nach seiner ersten Vernehmung auf der Anklagebank des Obersten Gerichtshofs in Madrid ins Gefängnis überstellt. Eine Kaution kam für den Richter nicht in Frage, denn Cerdán soll hohe Provisionen für öffentliche Auftragsvergaben kassiert haben, die im «Fall Koldo» untersucht wurden.
Der Organisationssekretär der PSOE wird der kriminellen Organisation, der Bestechung und der Einflussnahme beschuldigt. Zuvor hatte die UCO dem Gericht Aufzeichnungen von Gesprächen übergeben, die Cerdán direkt mit mutmaßlichen Schmiergeldzahlungen als Gegenleistung für die Vergabe öffentlicher Bauaufträge in Verbindung bringen.
Und während sich die Schlinge um Sánchez’ Hals immer enger zieht, treibt der Regierungschef eine Justizreform voran, die er der Öffentlichkeit als «einen Schritt zur Demokratisierung der Justiz» verkauft. Die meisten spanischen Richter und Staatsanwälte sehen das jedoch anders. Sie warnen davor, dass diese Initiative die Rechtsstaatlichkeit ernsthaft untergraben werde, sollte sie umgesetzt werden.
Am 28. Juni 2025 demonstrierten deshalb Hunderte von Richtern und Staatsanwälten, begleitet von Tausenden von Bürgern, vor dem Obersten Gerichtshof gegen diese Gesetzesinitiativen, die vom Minister für Präsidentschaft, Justiz und Beziehungen zu den Gerichten, Félix Bolaños, gefördert werden. Ihr Motto: «Kein Rechtsstaat, keine Demokratie». Darüber hinaus hatten die wichtigsten Berufsverbände von Richtern und Staatsanwälten Anfang Juli zu einem landesweiten Streik aufgerufen, dem schätzungsweise 75 Prozent der Juristen folgten.
Im Wesentlichen geht es ihnen um zwei Projekte: die Änderung des Zugangs zu den richterlichen und staatsanwaltlichen Laufbahnen und die Reform des Statuts der Staatsanwaltschaft zur Vorbereitung der Übertragung der Leitung von Strafsachen von Richtern auf Staatsanwälte. Letzteres würde Sánchez die Kontrolle über die Einleitung von Ermittlungsverfahren verschaffen, wie sie derzeit zum Beispiel von der UCO gegen ihn und sein engstes Umfeld durchgeführt werden.
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