«Es blieb eine beengte Zeit, materiell und moralisch. Da konnte zum Beispiel ein Gemeindepräsident problemlos sagen: ‹Diese 17-Jährige, die sich mit zu vielen Männern trifft, die versorgen wir mal.›»
Der Zürcher Staatsarchivar Beat Gnädinger in der NZZ vom 9. Mai 2025
Liebe Leserinnen und Leser
Der Schweizer Kanton Zürich will rund 20 Millionen Franken an Opfer von fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen und Fremdplatzierungen auszahlen – pro Person 25.000 Franken. Laut Behörden sei dies eine späte Anerkennung des vom Staat verursachten Leids. Der Zürcher Staatsarchivar Beat Gnädinger erklärte in diesen Tagen in einem ausführlichen Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), dass viele Betroffene ihre Kindheit in Heimen verbrachten, in denen sie statt Schutz Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung erlebten. Die Maßnahmen – etwa Fremdplatzierung, Zwangssterilisation oder Medikamentenversuche – seien administrativ und oft ohne Gerichtsurteil verhängt worden, meist mit moralisierenden Begründungen. Menschen galten etwa wegen Armut, Alkoholismus oder «unsittlichem» Verhalten als gesellschaftlich unerwünscht.
Gnädinger betonte, dass die damalige Gesellschaft solche Eingriffe weitgehend akzeptiert habe. Die föderale Struktur der Schweiz mit unterschiedlichen Regelungen habe Behörden großen Handlungsspielraum ermöglicht. Gerade sozial Schwache seien dieser Willkür schutzlos ausgeliefert gewesen. Das Geld solle unpfändbar sein und den Betroffenen ein Stück Freiheit zurückgeben. Laut Gnädinger sei die Schweiz bei der Aufarbeitung im internationalen Vergleich relativ weit, da sie das ganze System hinterfragt habe, nicht nur Einzelpersonen.
Er verwies darauf, dass es lange gedauert habe, bis die Kritik an den Maßnahmen mehrheitsfähig geworden sei. Erst persönliche Erfahrungen oder Erzählungen aus dem Umfeld hätten vielen Politikerinnen und Politikern die Realität nähergebracht. Weitere Entschädigungsforderungen durch andere Gruppen schloss Gnädinger nicht aus, zeigte sich aber zuversichtlich, dass sich Staat und Gesellschaft solchen Debatten künftig stellen würden.
Das Bild zeigt ein schäbiges, rechtsstaatlich fragwürdiges Verhalten, das so gar nicht zum polierten Bild der Schweiz passt, das aber im internationalen Vergleich gut aufgearbeitet werde. Stimmt dieses Bild?
Mitnichten. So habe ich über einen Sorgerechtsstreit und einen damit verbundenen Gerichtsfall berichtet. Es handelt sich um eine Mutter, die gegen die Entfremdung ihres Sohnes und den Sorgerechtsentzug kämpft. Es war das Coronajahr 2021, das den Bruch zwischen den Behörden und der Mutter brachte. Betroffen ist wieder ein Mensch, der nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht. Wieder ist es so, dass die Behörden alle Kniffe kennen und die Spieße nicht gleich lang sind.
Ich hatte auch bereits darüber geschrieben, dass das, was als Vergangenheit aufgearbeitet werden will, eben nicht vergehen will. Wer sucht, stellt fest, dass die Schweizer Behörden auch heute noch Zwangsmaßnahmen anwenden. Die teils traumatischen Eingriffe in die Grundrechte kommen von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB). Was früher von der Fürsorge, die immerhin von politisch gewählten Amtsträgern gesteuert wurde, einfach verfügt wurde, kommt heute in Juristendeutsch daher.
Die Präsidentin der Kinder- und Erwachsenenschutzvereinigung KESV, Jasminka Brcina, berichtete mir in einem exklusiven Interview über Behördenwillkür, die es eigentlich nicht mehr geben sollte und die – wenn man dem NZZ-Interview glaubt – nach dem Motto «lessons learned» aufgearbeitet wurde.
Richtig ist, dass es keine Zwangssterilisierungen und keine Zwangsadoptionen mehr gibt. Aber es werden in der Schweiz immer noch Kinder ihren Müttern weggenommen, nur dass sie nun in Heime und zu Pflegefamilien gesteckt werden.
Damit ist man «auf der richtigen Seite», hat die Sache «aufgearbeitet», mit dem Nebeneffekt, dass sich eine gutgehende und wachsende Heim- und Sozialindustrie entwickeln konnte. Natürlich auf Kosten des Steuerzahlers.
Gnädiger sagt, die Gesellschaft habe diese Methoden damals weitgehend akzeptiert. Sie akzeptiert sie in neuer Form noch heute. Politische Vorstöße haben bisher nicht gefruchtet.
Bleiben Sie uns, geneigte Leserin, geneigter Leser, gewogen!
Daniel Funk
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