In diesen kriegerischen Zeiten ist es wichtiger denn je, die wahren Gründe vergangener Kriege zu verstehen, damit man heute weiteren Eskalationen entgegenwirken kann. Um die Erinnerung an den NATO-Angriffskrieg auf Serbien vor genau einem Vierteljahrhundert wach zu halten, werden wir in dieser Serie elf Wochen lang einmal wöchentlich dessen Hintergründe beleuchten. Genauso lange wurden die Serben bombardiert (Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7, Teil 8, Teil 9, Teil 10, Teil 11).
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«Niemand aus meinem Freundeskreis oder ich selbst haben geglaubt, dass das passieren kann. Wirklich nicht. (…) Wir haben alle gedacht, dass sie ein bisschen drohen werden und Milošević einem Deal zustimmen wird oder so.» Das sagte der serbische Student Dušan gegenüber Elisa Satjukow, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Ost- und Südosteuropäische Geschichte der Universität Leipzig, am 23. März 2013.
Dušan bezog sich auf die Tage 14 Jahre zuvor. Laut Satjukow bereiteten sich die Menschen in Serbien am 24. März 1999 auf einen scheinbar gewöhnlichen Arbeitstag vor. Sie weist auf eine Umfrage des Nachrichtenmagazins NIN hin, die Dušans Aussage bekräftigt. Demnach erwarteten 78 Prozent aller Serben trotz früherer Drohungen und Sanktionen keine militärischen Aktionen gegen ihr Land. Doch gegen 20 Uhr fielen an dem Tag die ersten Bomben auf das, was von Jugoslawien nach den Teilungskriegen zuvor übrig geblieben war.
An diesem Sonntag jährt sich also der Beginn des 78 Tage langen NATO-Bombardements der jugoslawischen Republik Serbien zum 25. Mal. Vorangegangen waren ihm weitere NATO-Eingriffe, Teil eines zehnjährigen Bestrebens seitens europäischer Länder und der USA, Jugoslawien zu zersplittern. An vorderster Front war dabei Deutschland. Es fürchtete vor allem die zu erwartende Konkurrenz der jugoslawischen Automobil- und Metallindustrie. 1992 wurde Jugoslawien zum einzigen Land, das jemals von der UNO ausgeschlossen wurde.
Unter den ehemaligen sozialistischen Ländern erwies sich Jugoslawien als besonders widerspenstig. Dessen Führer weigerten sich, das Land vollständig auf dem neoliberalen Altar zu opfern und es einer Schocktherapie zu unterziehen, wie sie die ehemaligen Sowjetrepubliken über sich ergehen lassen mussten. Insbesondere der ehemalige Banker und Liebling des Westens Slobodan Milošević wollte einige soziale Einrichtungen bewahren. Zudem zeigte Jugoslawien kein Interesse daran, der NATO beizutreten.
Der US-Historiker Michael Parenti schreibt in seinem Buch «To Kill a Nation – The Attack on Yugoslavia», das Ziel der USA sei gewesen, Jugoslawien in eine Region der Dritten Welt zu verwandeln, «eine Ansammlung schwacher rechtsgerichteter Fürstentümer mit folgenden Merkmalen»:
- Unfähig, einen unabhängigen Kurs der Selbstentwicklung einzuschlagen.
- Natürliche Ressourcen, die der Ausbeutung durch transnationale Unternehmen vollständig zugänglich sind, einschliesslich des enormen Mineralienreichtums im Kosovo.
- Eine verarmte, aber gebildete und qualifizierte Bevölkerung, die zu Hungerlöhnen arbeitet, ein Pool billiger Arbeitskräfte, der dazu beitragen wird, die Löhne in Westeuropa und anderswo zu drücken.
- Demontierte Erdöl-, Maschinenbau-, Bergbau-, Düngemittel-, Pharma-, Bau-, Automobil- und Agrarindustrien, so dass sie keine Konkurrenz mehr für westliche Produzenten darstellen.
Kriege zu verkaufen
Das offizielle Narrativ ist selbstverständlich ein anderes. Denn die wahren Kriegsgründe darf die Bevölkerung nicht erfahren, da sie sonst das bellizistische Treiben nicht unterstützen würde. Der «Böse» ist immer der Andere. So wurde aus dem ersten Angriffskrieg der NATO durch Propaganda eine «humanitäre Intervention» – ohne UNO-Mandat.
Das war jedoch nur das letzte militärische Eingreifen der NATO auf dem Balkan, um angeblich ethnische Säuberungen seitens der Serben im Kosovo zu stoppen. Im Westen wurden die Konflikte im ehemaligen Jugoslawien als Höhepunkt historisch gewachsener ethnischer und religiöser Feindseligkeiten dargestellt. Parenti, der 1999 Jugoslawien besuchte, meint dazu:
«Tatsache ist, dass es keinen Bürgerkrieg, keine Massenmorde und keine ethnischen Säuberungen gab, bis die westlichen Mächte begannen, sich in die inneren Angelegenheiten Jugoslawiens einzumischen, indem sie die sezessionistischen Organisationen finanzierten und die politisch-wirtschaftliche Krise herbeiführten, an der sich der politische Streit entzündete.»
Kriege müssen eben verkauft werden: Das tödliche Produkt braucht eine ansprechende Verpackung. Dazu eignet sich nichts besser als eine Werbeagentur. Man liess sich nicht lumpen und engagierte dafür echte Profis. Dazu gehörte die renommierte Public-Relations-Firma Ruder Finn, die eine entscheidende Rolle bei der Dämonisierung der Serben spielte. Das Unternehmen arbeitete für Kroatien, das muslimische Bosnien und die albanische parlamentarische Opposition im Kosovo.
Wie Parenti erklärt, brüstete sich der Direktor von Ruder Finn, James Harff, mit der Verbreitung sensationslüsterner Berichte, die zu einem dramatischen Anstieg der öffentlichen Unterstützung für die US-Intervention in Bosnien führten. Am meisten stolz war Harff darauf, wie seine Firma die jüdische öffentliche Meinung manipuliert hatte.
Das war in der Tat eine enorme Leistung, denn der kroatische Präsident Franjo Tudjman war sogar laut Harff «sehr nachlässig in seinem Buch ‹Wastelands of Historical Truth›», für «das er des Antisemitismus für schuldig befunden werden könnte». Auch der bosnische Präsident Alija Izetbegovic habe ein ernsthaftes Imageproblem, weil sein Buch «The Islamic Declaration» «zu viel Unterstützung für einen muslimisch-fundamentalistischen Staat offenbart». «Ausserdem war die Vergangenheit Kroatiens und Bosniens von einem echten und grausamen Antisemitismus geprägt», räumte Harff ein:
«Zehntausende von Juden kamen in kroatischen Lagern um, so dass Intellektuelle und jüdische Organisationen allen Grund hatten, den Kroaten und den [muslimischen] Bosniern gegenüber feindselig zu sein. Unsere Aufgabe war es, diese Haltung umzukehren, und das ist uns meisterhaft gelungen.»
Nachdem Newsday Geschichten von Roy Gutman über die angeblichen serbischen Todeslager veröffentlicht hatte, gelang es Harffs Leuten laut Parenti, mehrere grosse jüdische Organisationen zu mobilisieren: die B’nai Brith Anti-Defamation League, das American Jewish Committee und den American Jewish Congress. Harff freute sich:
«Das war ein enormer Coup. Als die jüdischen Organisationen auf der Seite der [muslimischen] Bosnier ins Spiel kamen, konnten wir die Serben in der öffentlichen Meinung sofort mit den Nazis gleichsetzen. Niemand verstand, was in Jugoslawien vor sich ging. (...) Mit einem einzigen Schachzug gelang es uns, eine einfache Geschichte von Guten und Bösen zu präsentieren, die sich im Folgenden selbst spielen würde. (...) In der Presse war fast sofort ein deutlicher Sprachwandel zu beobachten, bei dem Worte mit hohem emotionalen Gehalt wie ‹ethnische Säuberung› und ‹Konzentrationslager› verwendet wurden, die Bilder von Nazi-Deutschland und den Gaskammern von Auschwitz hervorriefen.»
Besonders brisant ist das alles wenn die Rolle Deutschlands bei der Zerstörung Jugoslawiens berücksichtigt wird. Der deutsche Beitrag zur Propaganda gegen Serbien, insbesondere durch den damaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD), wird in der ARD-Dokumentation «Es begann mit einer Lüge» aus dem Jahre 2001 dargestellt.
Parenti weist darauf hin, dass es die eifrige Aufnahmebereitschaft der westlichen Medien war, die die Bemühungen von Ruder Finn so effektiv machte. Von den offiziellen Stellen gesteuert, hätten diese bereits viele Monate vor der PR-Kampagne von Ruder Finn eine antiserbische Stimmung geschaffen.
Dass die Firma einzig gegenüber Mammon loyal ist, zeigte sich beispielsweise 1998, als bekannt wurde, dass sie sowohl die Jewish Agency for Israel als auch die Schweizer Regierung vertrat. Die World Jewish Restitution Organization der Jewish Agency verfolgte einen Vergleich mit der Schweizer Regierung über deren Finanzgeschäfte während des Zweiten Weltkriegs. Ruder Finn reagierte auf diese Offenbarung mit dem Abbruch der Beziehungen zur Jewish Agency.
Harff selbst bestätigte mit Bezug auf Jugoslawien, wie unmoralisch das Unternehmen agiert. Gegenüber dem französischen Journalisten Jacques Merlino erklärte er 1993:
«Unsere Arbeit besteht nicht darin, Informationen zu verifizieren. (...) Unsere Arbeit besteht darin, die Verbreitung von Informationen zu beschleunigen, die für uns günstig sind. (...) Wir sind Profis. Wir hatten eine Aufgabe zu erledigen und haben sie erfüllt. Wir werden nicht dafür bezahlt, zu moralisieren.»
Laut Parenti wurde diese «fast monopolistische Kommunikationsflut» von bestimmten gut finanzierten «humanitären» Gruppen wie Ärzte ohne Grenzen, Friedensgruppen wie Women in Black und «Menschenrechts»-Gruppen wie Human Rights Watch unterstützt, zusammen mit den verschiedenen Organisationen der Grünen Partei in ganz Europa und Nordamerika, der britischen Labour-Partei, den französischen Sozialisten, den deutschen Sozialdemokraten und der «unvermeidlichen Einstreuung von gut infiltrierten ultralinken Gruppierungen, die für immer mit dem ‹Stalinismus› abrechnen, mit Milošević als dem ‹letzten Stalinisten›». Und:
«Zu den Befürwortern der humanitären Bombenangriffe auf die wehrlose Zivilbevölkerung zählten auch die verschiedenen halbinformierten Intellektuellen und Koryphäen, deren moralisierende Neigungen in dem schnell zubereiteten Kreuzzug gegen Serbien aktiviert wurden. Dazu gehörten Feministinnen, Pazifisten und ‹linke› Antikommunisten wie Daniel Cohn-Bendit, Günter Grass, Octavio Paz, Karl Popper, Vanessa Redgrave, Salman Rushdie, Catharine MacKinnon, Todd Gitlin und natürlich Susan Sontag – so sehr dem Kampf gegen das Gespenst Stalins oder das Gespenst Hitlers verschrieben, dass sie ungewollt oder gewollt einem lebendigen, globalen Imperialismus dienten.»
Der in Grossbritannien inhaftierte Radovan Karadžić, der von 1990 bis 1992 Parlamentspräsident der Sozialistischen Republik Bosnien und Herzegowina und von 1992 bis 1996 Präsident der Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina war, sagte:
«Die Medien haben uns mehr Schaden zugefügt als die NATO-Bomben.»
George Kenney, einer der Gestalter der US-Politik auf dem Balkan unter der ersten Bush-Regierung, brachte es auf den Punkt:
«Die US-Regierung hat keine Beweise für einen Völkermord, und jeder, der die Presse kritisch liest, kann sehen, wie dürftig die Indizien sind, trotz der ständig wiederholten Behauptungen und blutigen Spekulationen.»
All das ist jedoch leider irrelevant, denn es ist eben die Propaganda der Sieger, die in die offiziellen Geschichtsbücher einzug findet.
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