In diesen kriegerischen Zeiten ist es wichtiger denn je, die wahren Gründe vergangener Kriege zu verstehen, damit man heute weiteren Eskalationen entgegenwirken kann. Um die Erinnerung an den NATO-Angriffskrieg auf Serbien vor genau einem Vierteljahrhundert wachzuhalten, werden wir in dieser Serie elf Wochen lang einmal wöchentlich dessen Hintergründe beleuchten. Genauso lange wurden die Serben bombardiert. Nachfolgend wird die Serie mit Teil 3 fortgesetzt (Teil 1, Teil 2).
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Teile und herrsche
Die bewusste Fargmentierung Jugoslawiens seitens des Westens offenbart sich an einigen Massnahmen gegen die Regierung Jugoslawiens. Laut Jovan Milojevich, Assistenzprofessor für Politikwissenschaft an der Okahoma State University, waren es notwendige Voraussetzungen für die «Sezessionskriege» in Jugoslawien.
Wie der US-Historiker Michael Parenti in seinem Buch «To Kill a Nation – The Attack on Yugoslavia» erklärt, haben die USA damit gedroht, die Hilfe zu kürzen, wenn Jugoslawien 1990 keine Wahlen abhielt, die zudem nur innerhalb der verschiedenen Republiken und nicht auf föderaler Ebene durchgeführt werden sollten. US-Führer – unter Verwendung der National Endowment for Democracy, verschiedener CIA-Tarnorganisationen und anderer Agenturen – hätten Kampagnengelder und Ratschläge an konservative separatistische politische Gruppen weitergeleitet, die in den US-Medien als «pro-westlich» und «demokratische Opposition» beschrieben wurden. Diese Parteien hätten ihre Gegner finanziell übertroffen, und einen Wahlvorteil in jeder Republik ausser Serbien und Montenegro gewonnen.
Lord Peter Carrington, ehemaliger Vorsitzender der Friedenskonferenz für Jugoslawien, erklärte, dass das Vorgehen der USA, Deutschlands und einiger anderer europäischer Länder «dafür gesorgt hat, dass es in der Region zu einem Konflikt kommen würde».
Dann war da der Foreign Operations Appropriations Act 1991. Dieser verlangte von Jugoslawien, von der US-Regierung festgelegte Bestimmungen einzuhalten, bei deren Nichteinhaltung die USA jegliche finanzielle Unterstützung für das Land blockieren würden. Das am 5. November 1990 verabschiedete Gesetz sah nur Hilfe für die einzelnen Republiken, nicht aber für die jugoslawische Regierung vor und schwächte die föderalen Bindungen weiter. Parenti zufolge strömten zudem Waffenlieferungen und Militärberater in die abtrünnigen Republiken Sloweniens und Kroatiens, insbesondere aus Deutschland und Österreich. Deutsche Ausbilder beteiligten sich sogar an Kämpfen gegen die jugoslawische Volksarmee. Der Historiker erklärt:
«Einer der frühesten und aktivsten Befürworter der Sezession war Deutschland, das sich 1991 erstmals offen für die Zerschlagung Jugoslawiens einsetzte, Slowenien und Kroatien aber schon lange vorher jede erdenkliche Unterstützung zukommen liess. Die erklärte Politik Washingtons bestand darin, die jugoslawische Einheit zu unterstützen und gleichzeitig Privatisierungen, IWF-Schocktherapie und Schuldentilgung durchzusetzen, das heisst Jugoslawien mit Worten zu unterstützen und gleichzeitig mit Taten zu unterminieren. Die Bush-Administration äusserte ihre Besorgnis darüber, dass Bonn mit seiner Unterstützung der kroatischen Sezession ‹den USA zuvorkommt›, aber die USA taten wenig, um Deutschland von seinen Bemühungen abzuhalten. Und im Januar 1992 waren die Vereinigten Staaten zu einem aktiven Akteur beim Zerfall Jugoslawiens geworden.»
Als Ende Juni 1991 Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit erklärten, beobachtete der Autor Hannes Hofbauer die österreichische und die deutsche Presse. In seinem Buch «Balkankrieg – Zehn Jahre Zerstörung Jugoslawiens» macht er eine «Parteinahme für die kroatischen Nationalisten und die slowenischen Christlich-Konservativen» aus. Von einer «nach Vorherrschaft strebenden Führung in Belgrad mit ihrer stalinistisch-ultranationalistischen Linie» sei die Rede gewesen. Von einem «roten Serboslawien» als drohende Alternative zum «demokratischen Westslawien». Damit sei «en passant gleich eine neue, weil tagespolitisch opportune Ethnie erfunden worden», so Hofbauer.
«Der Begriff Sezession ist medial verbannt, die Schwierigkeiten, die sich aus einem staatlichen Zerfallsprozess ergeben, werden verdrängt. Es herrscht Euphorie für die Sache Sloweniens und Kroatiens, Missgunst und Hass gegenüber Belgrad.»
Eine weitere Zwangsmassnahme war gemäss Milojevich das Ultimatum des US-Botschafters in Jugoslawien, Warren Zimmerman, an Belgrad. Darin erklärte er, dass die USA die Gewaltanwendung durch Jugoslawiens Streitkräfte zum Erhalt der Republik nicht akzeptieren und bei Nichteinhaltung strenge wirtschaftliche und diplomatische Sanktionen sowie mögliche militärische Massnahmen verhängt würden.
Ebenfalls 1991 organisierte die Europäische Gemeinschaft unter Beteiligung der USA eine Konferenz über Jugoslawien, die «souveräne und unabhängige Republiken» forderte. Als «letzte Beleidigung», so Parenti, sei Jugoslawien von weiteren Sitzungen der Konferenz ausgeschlossen und jedes Mitspracherecht über sein eigenes Schicksal verweigert worden, was einer Ablehnung seiner Souveränität durch die Westmächte gleichgekommen sei.
Laut der Journalistin und Filmemacherin Joan Phillips besteht eine der grossen Täuschungen der westlichen Politik darin, dass:
«(…) diejenigen, die hauptsächlich für das Blutvergiessen in Jugoslawien verantwortlich sind – nicht die Serben, Kroaten oder Muslime, sondern die westlichen Mächte – als Retter dargestellt werden.»
Charles Boyd, ehemaliger stellvertretender Kommandeur des US-Europakommandos, kommentierte:
«Das populäre Bild dieses Krieges [in Kroatien] ist das einer unerbittlichen serbischen Expansion. Ein Grossteil dessen, was die Kroaten als ‹besetzte Gebiete› bezeichnen, ist Land, das seit mehr als drei Jahrhunderten in serbischer Hand ist. Das Gleiche gilt für den grössten Teil des serbischen Landes in Bosnien – das, was die westlichen Medien häufig als die 70 Prozent Bosniens bezeichnen, die von den serbischen Rebellen erobert wurden. Kurz gesagt, die Serben versuchten nicht, neues Territorium zu erobern, sondern lediglich das zu behalten, was sie bereits hatten. Infolge des Krieges verringerte sich der serbische Landbesitz in Bosnien von 65 auf 43 Prozent.»
Boyd bemängelte auch die Politik der USA, die im Geheimen muslimische Offensiven billigte, die genau den Waffenstillstand zerstörten, den Washington angeblich unterstützte. Während die US-Führer behaupteten, sie wollten Frieden, «förderten sie eine Verschärfung des Krieges», schlussfolgert Boyd.
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