Das europäische Einigungsprojekt war von Anfang an nicht als solidarisches und demokratisches gedacht, sondern folgte immer spezifischen wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen.
Hannes Hofbauer in «Europa – Ein Nachruf» (2020)
Liebe Leserinnen und Leser
Heute will ich Ihnen nach dem gestrigen Newsletter noch einmal einige Gedanken zur Europäischen Union (EU) mitteilen, einem anscheinend schwerkranken Patienten. Doch was für manche wie eine Krankheit oder Störung wirkt, könnte dagegen ein Wesenszug dieses Gebildes sein. Ein Symptom ist auf jeden Fall die Verleihung des Karls-Preises an die deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Der französische Soziologe und Historiker Emmanuel Todd macht bei den Eliten der EU «eine Sehnsucht nach Selbstmord» aus. Das begründet er in einem am 22. Mai von der Schweizer Zeitung Die Weltwoche veröffentlichten Interview mit dem Drang der EU, den Krieg in der Ukraine fortzusetzen.
Dabei hätten die europäischen Länder den Krieg verloren, «aber sie merken es noch nicht», so Todd. Die EU werde unter US-amerikanischer Vorherrschaft neu strukturiert, erklärt er außerdem.
Er verweist damit auf einen der Gründe, warum die fälschlicherweise als «Europa» titulierte EU, zu der Großbritannien wieder gehören will, sich anscheinend dem möglichen Frieden in der Ukraine verweigert: die US-Dominanz. Es ist genauer die Dominanz derjenigen Kräfte in den USA, die laut dem Ökonomen Jeffrey Sachs 30 Jahre lang an der Macht waren, bis Donald Trump ein zweites Mal US-Präsident wurde.
Der Kampf gegen Russland sei ein langfristiges Projekt der herrschenden US-Kreise, «das vor 30 Jahren» begann, unabhängig davon, wer jeweils Präsident ist. Zbigniew Brzezinski habe die Strategie in seinem Buch «The Grand Chessboard» (Deutsch: «Die einzige Weltmacht») beschrieben:
«Das sind nicht nur die Gedanken von Herrn Brzezinski. Das ist die Präsentation der Entscheidungen der Regierung der Vereinigten Staaten, die der Öffentlichkeit erklärt werden – so funktionieren diese Bücher. Und das Buch beschreibt die Osterweiterung Europas und der NATO als gleichzeitige Ereignisse.»
Der Ökonom sagte auch, «wir hatten 30 Jahre lang eine kontinuierliche Regierung, bis vielleicht gestern», die das Langzeitprojekt gegen Russland verfolgt habe. Bei diesem seien die Ukraine und Georgien der Schlüssel gewesen.
Ich denke, dass die von Trump beiseite geschobenen bisher herrschenden Eliten der USA versuchen, mit Hilfe ihrer bisher loyalen Vasallen in der EU zu «überwintern». Deren Aufgabe ist es, im Auftrag der US-«Neocons» jede Abweichung von der Strategie, die sie 30 Jahre lang verfolgt haben (Wolfowitz, Brzezinski, etc.), zu hintertreiben.
Und das in der Hoffnung, dass sie nur vier Jahre Trump überstehen müssen und dann zurückkehren können auf die offene Bühne der Macht. Der abgewählte kranke US-Präsident Joseph Biden mag zwar nur noch eine Marionette im Weißen Haus (wie eigentlich fast jeder US-Präsident) gewesen sein.
Aber immerhin erklärte er am 7. November 2024: «Niederlage bedeutet nicht, dass wir besiegt sind». Um am 20. Januar 2025 nach der Amtsübergabe an Trump noch einmal zu wiederholen: «Wir verlassen das Amt. Wir werden den Kampf nicht aufgeben».
Und der Blackrock-Vertreter Friedrich Merz als deutscher Bundeskanzler ist ein Vertreter beziehungsweise Vasall dieser vorerst entmachteten US-Eliten wie aus dem Lehrbuch. Entsprechend versucht er jetzt den «starken Mann» in der EU zu markieren, in dem er Russland Ultimaten stellt und «abtrünnigen» EU-Mitgliedern wie Ungarn und der Slowakei droht.
Insofern begeht die EU keinen «Selbstmord», wie Todd meint, sondern erfüllt weiter die Aufgaben, die ihr seit ihren ersten Tagen zugedacht sind. Hannes Hofbauer beschrieb 2020 in seinem Buch «Europa – Ein Nachruf», worum es den Gründervätern dessen ging, was wir heute als EU erleben:
«Die Herstellung einer dauerhaften deutsch-französischen Achse nach zwei gegeneinander geführten Kriegen; den Kampf gegen die kommunistische Sowjetunion, der nach deren Zusammenbruch als antirussische Allianz weitergeführt wurde; und die Unterstellung dieser beiden Ziele unter ein US-geführtes transatlantisches Kommando, wenngleich letzteres in jüngster Zeit EU-europäischen Eliten zunehmend schwer fällt.»
Auf der US-Kommandobrücke steht ein neuer Kapitän, der anscheinend den Kurs ändern will, aber die bisherige Mannschaft ist noch nicht vollständig von Bord gegangen – und bestimmt immer noch den Kurs des Beibootes EU. Wie sich das zeigt, im Großen wie im Kleinen, das können Sie auch in unseren Beiträgen auf Transition News nachlesen.
Diese empfehle ich Ihnen ein weiteres Mal und wünsche Ihnen mit unseren Texten Wissensgewinn und Lesefreude sowie ein erholsames und gutes Wochenende!
Herzliche Grüße
Tilo Gräser
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